Vor 25 Jahren machte sich Martina Hingis zur jüngsten Wimbledon-Siegerin seit 1887. Heute blickt sie im Interview zurück.
SRF Sport: Martina Hingis, wenn man in Wimbledon die Tennis-Anlage betritt, spürt man die Tradition und die Historie regelrecht. Macht das auch noch etwas mit Ihnen?
Martina Hingis: Auf jeden Fall. Es ist jedes Mal ein spezielles Ereignis. Diese Anlage ist unglaublich. Als Zuschauerin ist es mein liebstes Grand-Slam-Turnier. Als Spielerin allerdings nicht unbedingt, mit dem Regen und dem ganzen Hin und Her.
Vor genau 25 Jahren haben Sie dieses Turnier gewinnen können …
Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit!
So fühlt es sich tatsächlich an. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?
Ja doch, vor allem jetzt hier in London auf den Strassen und halt vor allem von der älteren Generation. Kürzlich durfte ich bei der Zeremonie zu «100 Jahre Centre Court» nochmals auf den Platz – ich hatte Gänsehaut!
Blicken wir auf das Turnier 1997 zurück: Da sind Sie ja regelrecht durch das Tableau geflogen und trafen im Final auf Jana Novotna. Dort haben Sie den ersten Satz verloren und dann doch noch gewinnen können. Was sind Ihre Erinnerungen an dieses Spiel?
Ich hatte eigentlich ein gutes Gefühl vor dem Spiel, weil ich gegen Novotna eine solide Bilanz hatte. Der erste Satz lief dann nicht wunschgemäss, ich habe aber immer an meine Chance geglaubt. Kurz vor Schluss habe ich mir gesagt: «Jetzt packst du das!»
Was bleibt von damals am meisten hängen? Die Momente vor dem Final, der Final selber oder doch das, was anschliessend kam?
Als ich mit dem Teller durch das ganze Stadion laufen konnte, war das mit dem Applaus des Publikums einzigartig. Anschliessend freute ich mich auch sehr auf das «Champions’ Dinner». Dafür konnte ich mir ein schönes Kleid aussuchen. Diese Momente waren für mich als 16-Jährige schon sehr speziell.
Sie waren damals exakt 16 Jahre, 9 Monate und 5 Tage alt. Was bedeutet es Ihnen, die jüngste Wimbledon-Siegerin der Open Era zu sein?
Darauf bin ich natürlich sehr stolz. Ich habe es damals sehr genossen – vielleicht aber auch fast zu wenig, weil es gleich wieder weiter ging. Aber heute weiss ich, dass das Tennis mir so viel gegeben hat und so viele Türen geöffnet hat.
Insgesamt haben Sie 5 Grand-Slam-Titel gewonnen. Kann man die anderen Triumphe mit jenem in Wimbledon vergleichen?
Jeder einzelne ist eine Erinnerung wert. In Australien gewann ich mein erstes Major-Turnier. Da haben alle noch gesagt, dass ich zu jung für den Titel sei. Das hat mich angespornt – zudem wusste ich, dass ich später noch viele Jahre weitere Chancen haben würde. Ich komme auch überall hin gerne zurück. Paris habe ich zwar gerne als Stadt, aber leider nie gewonnen.
Gut, die French Open konnten Sie ja immerhin noch im Doppel gewinnen. In Wimbledon siegten Sie ebenfalls im Doppel und bei den Juniorinnen. Hatte sich der Einzel-Titel deshalb auch ein bisschen abgezeichnet?
Ich hatte gegen Ende 1996 bereits sehr gut gespielt und das Jahr als Weltnummer 4 abgeschlossen. Ich wusste deshalb vor Wimbledon schon, dass ich die grossen Spielerinnen schlagen kann.
Ende 2017 sind Sie zurückgetreten. Wenn Sie heute bei diesen Turnieren vorbeischauen, verspüren Sie manchmal einen Reiz, nochmals mitzuspielen?
Nein, ich habe mit meiner Karriere abgeschlossen. Jetzt sollen die Jungen kommen. Das Spielen aus dem Stand geht noch, aber wenn es ums Laufen geht … (lacht) . Ich weiss auch, wie viel Herzblut es benötigt, um ganz vorne dabei zu sein.
Serena Williams, nur 1 Jahr jünger als Sie, ist dieses Jahr wieder zurückgekommen auf die Tour, schied in Wimbledon allerdings in der 1. Runde aus. Löst das etwas in Ihnen aus?
Wenn man dieses Turnier schon so oft gewonnen hat wie sie und dann in diesem Zustand spielt, frage ich mich, ob man sich das überhaupt noch antun will. Eigentlich hat man eine Serena Williams anders in Erinnerung. So wie sie in ihrem Erstrunden-Match auftrat, hätte ich früher gerne gegen sie gespielt … (lacht).
Ein ganz anderes Thema: Sie haben als 2-Jährige mit Tennis begonnen. Jetzt haben Sie selber eine 3-jährige Tochter: Schlagen Sie mit ihr auch schon Bälle?
Wir haben einmal pro Woche eine Bambini-Tennis-Gruppe. Es ist aber mehr Spiel und Spass mit Ball, zwischendurch spielen die Kinder etwas Tennis – wenn man es überhaupt hinkriegt, ihre Aufmerksamkeit für 5 bis 10 Minuten zu gewinnen. Es kommt immer besser, das freut mich.
Derzeit spielen Sie in Wimbledon beim «Invitation Doubles» mit anderen Legenden. Ist das wie ein Klassentreffen?
Ja, das kommt hin. Ein bisschen ehrgeizig bin ich auf dem Platz immer noch. Das Legenden-Turnier hat aber an Niveau gewonnen, deshalb bin ich froh, dass ich in den letzten Jahren immer etwas trainiert habe.
Was ist Ihre Prognose für die Einzelturniere der Männer und Frauen?
Ich habe leider nicht viel gesehen, habe aber gehört, dass Kyrgios und Tsitsipas ein Super-Spiel gezeigt haben. Kyrgios ist ein Paradiesvogel und sehr farbenfroh, er bringt viel Spass ins Spiel mit. Djokovic ist natürlich immer ein Favorit. Bei den Frauen ist es etwas offener mit den zahlreichen Top-Spielerinnen, die schon ausgeschieden sind. Lassen wir uns überraschen.