Auf dem Arm von Aryna Sabalenka prangt unübersehbar das Tattoo eines furchterregenden Tigers. Genau so spielte die physisch wuchtige, mental aber oft fragile und für Doppelfehler anfällige Belarussin in der Vergangenheit oft auch. Ohne Rücksicht auf Verluste, in den entscheidenden Momenten aber regelmässig an ihrem Nervenkostüm scheiternd.
Für das neue Jahr hatte sich die 24-Jährige aus Minsk deshalb eine Devise vorgenommen: «Ich will auf dem Platz langweiliger werden.» Diese neue Einstellung setzt sie bisher in Perfektion um. Spätestens seit ihrem Achtelfinal-Erfolg über Belinda Bencic und dem Ausscheiden der Weltnummer 1 Iga Swiatek ist Sabalenka die Topfavoritin auf den Titel beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres. Swiateks überraschende polnische Landsfrau Magda Linette (WTA 45) tat einen Satz lang ihr Bestes, um den ersten Finaleinzug Sabalenkas zu verhindern.
Sabalenka zeigte jedoch ein brillantes Tiebreak und liess sich danach nicht mehr bremsen. Ihre Frühjahresform ist beeindruckend. Inklusive Turniersieg in Adelaide gewann sie 2023 alle 10 Matches, die sie spielte – und alle in 2 Sätzen. In den letzten beiden Jahren hatte der ehemalige Schützling des neuen Bencic-Coaches Dimitri Tursunow 3 Grand-Slam-Halbfinals erreicht, scheiterte jedoch jedes Mal.
Als letzte könnte am Samstag Jelena Rybakina den ersten Major-Triumph Sabalenkas verderben. Die ein Jahr jüngere gebürtige Moskauerin stösst am Montag erstmals in die Top Ten vor. Ein Schritt, der längst erfolgt wäre, wenn in Wimbledon, wo Rybakina triumphierte, wegen des Ausschlusses der Russinnen und Belarussinnen nicht die WTA-Punkte entzogen worden wären.
Vor knapp 5 Jahren entschied sich Rybakina zum Nationenwechsel. Primär aus finanziellen Motiven schloss sie sich dem kasachischen Tennisverband an, der mehr Unterstützung und Fördergelder versprach. Dennoch werden sich Wladimir Putin und die nationalistischen russischen Medien über den Melbourne-Final freuen. Es spielt eine Vertreterin des ebenfalls in weiten Kreisen geächteten Bruderstaats Belarus gegen eine Russin. Bereits Rybakinas Wimbledonsieg wurde ausgiebig gefeiert.
Die Favoritenrolle ist denn auch nicht so eindeutig. «Die Erfahrung vom Wimbledon-Final wird mir zugute kommen», hofft Rybakina, während Sabalenka vor zwei Jahren immerhin im Doppel schon mal die Australian Open gewann (mit Elise Mertens). Die Kasachin war auch im Wimbledon-Final gegen die Weltnummer 2 Ons Jabeur klare Aussenseiterin und liess sich nicht beeindrucken.