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Verbunden über den Tod hinaus Wendy Holdeners Hommage an ihren verstorbenen Bruder

Eigentlich war es Kevins Idee gewesen, einen DOK-Film über seine Schwester Wendy zu drehen. Diese fand, auch ihr Bruder müsse darin Hauptdarsteller sein – als ihr Manager, und weil er 13 Jahre immer wieder gegen den Krebs kämpfte. Da Kevin während der Dreharbeiten starb, ist eine Hommage entstanden.

Schon die erste Sequenz geht unter die Haut. Wendy Holdeners Bruder Kevin ruft vom Spitalbett aus Filmemacher Michael Bühler an, um zu sagen, dass er wegen einer Lungenentzündung nicht wie geplant mit der Chemotherapie beginnen kann. Kevin ist ratlos: «Wollen wir weiter filmen – oder gibt es im Worst Case keine Story?»

Geplant war Heliskiing in Kanada nach erfolgreicher Chemotherapie. Damit hätte sich Kevin – als Nachwuchsfahrer bei Swiss Ski einst wie seine Schwester auf dem Sprung zum Profi – einen langgehegten Traum erfüllt. Stattdessen kam es zum im Telefonat angedeuteten Worst Case: Kevin verstarb knapp eine Woche nach diesem Anruf mit 34 Jahren.

Meine Karriere wäre definitiv anders verlaufen, wenn mir Kevin nicht geholfen hätte.
Autor: Wendy Holdener Skirennfahrerin

Kevin und der Krebs, das war eine 13 Jahre alte Leidensgeschichte. Seit der ersten Diagnose Ende 2010 hatte er sich immer wieder aufgebäumt, war aber nie länger als zwei Jahre wirklich gesund gewesen.

Nachdem deswegen sein Traum vom Skiprofi geplatzt war, stand Kevin seiner Schwester als Manager zur Seite.

Wenn es Kevin besonders schlecht ging, wollte ihn Wendy zur Entlastung von seiner Funktion als Manager entbinden. Doch Mutter Daniela sagte stets: «Tu das nie! Diese Arbeit ist sein Lebenselixier.»

Für sie war es die natürliche Fortsetzung einer Rolle, die Kevin seit Wendys Geburt eingenommen hatte: «Er war einfach der grosse Bruder und hat aufgepasst, dass ja nichts passiert.»

Wendy wusste es zu schätzen, dass ihr der geschäftliche Part abgenommen wurde: «Meine Karriere wäre definitiv anders verlaufen, wenn mir Kevin nicht geholfen hätte.»

Ich habe nie eine Maske aufgesetzt in der Öffentlichkeit – ich konnte einfach nicht immer die Wahrheit sagen.
Autor: Wendy Holdener Skiweltmeisterin

Die Geschwister-Beziehung als Fahrerin und Manager war nicht reibungsfrei. Vater Martin verrät: «Kevin war Wendys grösster Kritiker.» Aber über allem stand die unerschütterliche familiäre Bindung.

Als Untersuchungen im Herbst 2023 ergeben, dass Kevins Tumore wieder gewachsen waren, verlangt Wendy vom Arzt, ihr reinen Wein einzuschenken. Die ernüchternde Antwort: «Ihr Bruder hat noch ein bis maximal drei Jahre zu leben.»

Im Dezember zieht sich Holdener bei einem Trainingssturz eine Fraktur am linken Sprunggelenk zu. Das frühzeitige Saisonende droht. Der Zeitpunkt dieser Verletzung wirkt angesichts der belastenden Situation nicht zufällig.

Holdener gibt zu: «Ich hatte in diesem Moment das Feuer fürs Skifahren nicht mehr.» Aber den Zustand ihres Bruders wollte sie natürlich nicht als Begründung anführen: «Ich habe zwar nie eine Maske aufgesetzt in der Öffentlichkeit – aber ich konnte einfach nicht immer die Wahrheit sagen.»

Das Positive an Wendys Zwangspause ist, dass sie mehr Zeit mit ihrem kranken Bruder verbringen kann. Damit Kevin neuen Mut schöpft, organisiert sie ihm eine Grussbotschaft von Roger Federer.

Als Kevin im Februar seine Chemotherapie wegen einer Lungenentzündung nicht antreten kann, entschliessen sich er und seine langjährige Freundin Carmen, zu heiraten. Wenige Tage nach der Trauung im Spital stirbt Kevin.

Für Wendy ist schnell klar, dass sie den geplanten DOK-Film trotzdem machen will – für ihren Bruder. Mit einigen Monaten Distanz sagt sie: «Man lernt extrem viel über das Leben, wenn so etwas passiert – aber ich hätte auch noch darauf verzichten können.»

SRF 1, 24.10.2024, 20:10 Uhr

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