Fast wie ein Altar steht er im Deutschen Museum in München: ein hölzerner Arbeitstisch mit Paraffinblock, Geiger-Müller-Zähler, Batterien, Saugflasche und dem historischen Protokollheft «Chem-II». Der Tisch steht für eine der spektakulärsten, aber auch verhängnisvollsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: die vor 75 Jahren erstmals nachgewiesene Spaltung von Atomkernen. Sie ermöglicht heute die Nutzung der Atomenergie für die Stromversorgung, brachte aber auch die Atombombe.
Der Tisch sei heute eine Ikone der Wissenschaftsgeschichte, sagt die Museums-Kuratorin für Chemie, Susanne Rehn-Taube. Mehrere Jahrzehnte war er nach dem Chemiker Otto Hahn benannt, dem 1944 der Nobelpreis für die Entdeckung der Kernspaltung zugesprochen wurde.
«Der Name des Exponats war im Grunde falsch», sagt Rehn-Taube. Denn an dem Experiment vom 17. Dezember 1938 im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin hatten auch der Chemiker Fritz Strassmann und die Physikerin Lise Meitner Anteile.
Entdeckung der Kernspaltung in Teamarbeit
«Lise Meitner hat die Versuche, die letztlich zur Kernspaltung führten, initiiert», sagt ihre Biografin Charlotte Kerner. Die Physikerin sei fasziniert gewesen von den Experimenten von Enrico Fermi und überredete Hahn, sie ebenfalls zu machen. Der Italiener hatte Uran mit Neutronen beschossen. Sie sollten in den Atomkern eindringen. «Fermi wollte dadurch neue, künstliche und schwerere Elemente schaffen, die er Transurane nannte», erklärt Kerner.
Persönlich miterleben konnte Meitner die Versuche Hahns und Strassmanns nicht. Der vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflüchteten Jüdin blieb nur der Briefkontakt zu Hahn. Auf dem Postweg gab Meitner Hahn schliesslich auch die Erklärung für die Versuchsergebnisse der beiden Chemiker. Sie hatten statt der Transurane das Element Barium gefunden, das nur etwa halb so gross ist wie Uran.
Ein wichtiger Beitrag von Lise Meitner
«Nach dem damaligen Stand der Wissenschaft galt es als unmöglich, dass ein Atomkern in der Mitte auseinanderfliegen kann», sagt der Mainzer Chemiker und ehemalige Strassmann-Schüler Norbert Trautmann. Man sei damals davon ausgegangen, dass durch die Bestrahlung mit Neutronen nur Elemente entstehen können, die sich wenig vom Ausgangselement unterscheiden.
Daher habe Hahn kurz nach dem Experiment Meitner um Hilfe bei der Interpretation der Ergebnisse gebeten. «Zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch konnte Meitner erklären, wie der Spaltungsprozess stattfindet», sagt Trautmann. Ausserdem hätten die beiden Physiker auch gleich erkannt, dass dabei sehr viel Energie frei werde.
Heil und Unheil durch die Kettenreaktion
«Kurz danach wurde von anderen Forschern gezeigt, dass bei der Spaltung neue Neutronen entstehen, die in einer Kettenreaktion wiederum Atomkerne spalten können», erklärt der Chemiker. Diese Entdeckung machte sich die Atomindustrie nur wenige Jahre später zunutze. «Schon 1942 entstand in den USA der erste Atomreaktor», sagt Trautmann. Inzwischen versorgen Atomkraftwerke weltweit Millionen von Menschen mit Strom.
Die Entdeckung brachte aber auch die Atombomben, die US-Amerikaner 1945 auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abwarfen, mit verheerenden und bis dahin unvorstellbar schrecklichen Folgen. «Hahn bezeichnete die Nutzung der Kernspaltung für militärische Zwecke später als ‹Schweinerei›, mit der er nichts zu tun habe», erzählt Kuratorin Susanne Rehn-Taube. Auch Strassmann sei sehr erschüttert gewesen, dass die Entdeckung diese Folgen hatte, ergänzt Trautmann.
Protest gegen die militärische Nutzung
Die beiden Forscher gehörten deshalb auch zu den Unterzeichnern des Göttinger Manifests von 1957 gegen strategische Atomwaffen. «Auch Lise Meitner war immer gegen die Atombombe und für die friedliche Nutzung der Atomenergie», sagt ihre Biografin Kerner. Damals habe man die Atomenergie als die Lösung des Energieproblems der Menschheit betrachtet und die Folgen nicht bedacht.
Dass Hahn allein den Nobelpreis für Chemie bekam, habe Meitner akzeptiert, sagt Kerner. «Es hat sie aber furchtbar geärgert, dass sie noch lange nur als Mitarbeiterin Hahns bezeichnet wurde», so die Biografin, «Frauen galten per se als Zuarbeiterinnen». Aus heutiger Sicht sei die Entdeckung der Kernspaltung eine Gemeinschaftsarbeit. Dem wird heute auch der Name des musealen Tischs gerecht. «Er heisst jetzt Hahn-Meitner-Strassmann-Tisch», sagt Kuratorin Rehn-Taube.