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2001 lancierte der Schweizerische Nationalfonds (SNF) die Debatte zur Stammzellforschung: Er unterstützte ein Forschungsgesuch für eine Studie mit importierten embryonalen Stammzellen. Gleichzeitig forderte er eine rasche gesetzliche Regelung.
Die Lausanner Immunologin Heidi Diggelmann war damals Präsidentin des Forschungsrates des SNF. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der die Forschung den Austausch mit Politik und Gesellschaft suchte.
SRF: Die Forschung mit embryonalen Stammzellen aus dem Ausland war 2001 nicht explizit verboten. Trotzdem war die Brisanz des Themas offensichtlich. Wie gingen Sie mit diesem heiklen Thema um?
Heidi Diggelmann: Dieses Gesuch war politisch ein heisses Eisen. Wir haben uns daher sofort auch mit der nächsthöheren Instanz innerhalb des SNF, dem Stiftungsrat, besprochen.
Diese Aufsichtsbehörde wurde damals vom Glarner Ständerat und Juristen Fritz Schiesser geleitet. Schon im ersten Gespräch sagte er mir: «Bevor ich mich engagiere, will ich zuerst verstehen, worum es hier überhaupt geht.» Ihm war sofort klar, dass diese Forschung einen Schritt in die Politik hinein machen würde.
Wie ging der SNF damals mit den ethischen Fragen um, die sich bei der Forschung mit Stammzellen stellen?
Für uns Forschende war klar, dass die Stammzellforschung sehr wichtig ist. Wir wollten uns aber der ethischen Diskussion in der Öffentlichkeit stellen.
Der kritische Punkt, also die Gewinnung der embryonalen Stammzellen, hatte ja nicht in der Schweiz stattgefunden. Die Stammzellen wurden damals importiert. Man hat sich hierzulande also der ethischen Frage, wie diese Stammzellen entstanden sind, nicht stellen müssen.
Wir wollten eine klare Haltung von Seiten der Forschung, aber auch in der Gesellschaft, erarbeiten.
Trotzdem mussten wir uns als verantwortliche Kommission letztendlich mit diesen Fragen befassen: Wo kommen diese embryonalen Stammzellen her, wie darf mit ihnen gearbeitet werden, ist die Arbeit mit solchen Zellen ein moralischer Übergriff?
Das Gesuch aus Genf war für uns der Auslöser, diese Diskussion über die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu führen. Wir wollten eine klare Haltung von Seiten der Forschung, aber auch in der Gesellschaft, erarbeiten.
Sie haben damals in einer Medienmitteilung bekannt gemacht, dass sie das Genfer Gesuch finanziell unterstützen. In derselben Mitteilung forderten Sie eine politische und öffentliche Diskussion. Wie haben sie diese gestartet?
Die Arbeit begann im kleinen Kreis. Die zuständige Bundesrätin Ruth Dreifuss, Fritz Schiesser und ich führten die Auseinandersetzung zuerst zu dritt und dann in einem sich ständig erweiternden Kreis.
Wir drei kannten uns bereits zuvor wegen früherer Abstimmungen zu Forschungsthemen. Diese Kontakte waren sehr wichtig, um konstruktiv und schrittweise weiterzugehen.
Dennoch: Die erste Diskussion mit Ruth Dreifuss war heftig. Sie fand unseren Entschluss, das Gesuch zu bewilligen, voreilig.
Sie wurden sowohl vom Departement des Innern wie von der Nationalen Ethikkommission aufgefordert, den Entscheid über die Finanzierung des Gesuchs ein halbes Jahr zu vertagen. Die politische Diskussion sollte Raum bekommen. Doch der SNF wartete nicht. Daraufhin wurde Kritik laut: Die Wissenschaft wolle der Politik ihren Takt aufzwingen. Warum haben Sie nicht gewartet?
Wenn sich eine Seite unter Druck gesetzt fühlt, ist das natürlich nie angenehm. Aber die Forschenden fürchteten, dass die Schweiz in diesem vielversprechenden Forschungsfeld den Anschluss an die internationale Spitze verlieren würde.
Die genauen Bedingungen solcher Forschung auszuhandeln, braucht sehr viel Zeit, Geduld und Verständnis für die Meinung anderer. Es ging dann tatsächlich viel länger – länger auch, als Ruth Dreifuss ursprünglich angenommen hatte. Sie engagierte sich sehr und investierte viel Energie in dieses Geschäft. Bereits nach einem halben Jahr lag der erste Gesetzesentwurf vor.
Der folgende Prozess mit Parlamentsdebatte, Referendum und Abstimmung nahm dann aber noch einmal fast vier Jahre in Anspruch.
Wie haben Sie die Auseinandersetzung mit der Bevölkerung erlebt?
Da muss ich den jüngeren Forscherinnen und Forschern ein Kränzchen winden. Viele unserer Studenten und jungen Assistenten haben am Samstagmorgen auf dem Marktplatz Flugblätter verteilt und den Bürgern, die dort ihre Karotten einkauften, erklärt, worum es in dieser Abstimmung geht. Es wurden Open Houses veranstaltet und Institute für das breite Publikum geöffnet.
Ich war sehr beeindruckt, wie sehr sich die jüngere Generation von Forschenden um diese Kontakte kümmerte. Sie stiegen mit Begeisterung in diese Diskussion ein und gaben ihre Freude an der Forschung weiter.
66% der Stimmenden sollten – vier Jahre nach Eingabe des Genfer Gesuchs – schliesslich Ja sagen zum Stammzellforschungsgesetz. Ihr Einsatz für die Forschung mit embryonalen Stammzellen hat sich gelohnt.
Das war einer meiner glücklichsten Tage. Denn das Wahlresultat zeigt: Wenn man den Kontakt zu den Bürgern findet und sich Zeit nimmt, kann man ein positives Resultat erreichen. Man hat uns zum Beispiel in Deutschland sehr benieden um diesen Erfolg in einer Frage, die so komplex ist und die gleichzeitig so viele Menschen berührt.
Heute sind wir zwar viel weniger weit mit der therapeutischen Anwendung der Stammzellforschung, als wir es damals erwartet haben. Aber auch dies ist eine Lehre für Forscher und die Gesellschaft: Wenn wir etwas zu wissen glauben, können wir nie sicher sein, wie stabil dieses Wissen ist. Forschung erreicht eigentlich nie einen Endpunkt. Endgültige Weisheit gibt es nicht.
Das Gespräch führte Katharina Bochsler.