David Baltimore ist Genforscher, und mit seinen 86 Jahren einer, der inzwischen viele Jahrzehnte Wissenschaft überblicken kann. «1975 war ich als Jungspund bei der Asilomarkonferenz mit dabei», erinnert er sich. «Asilomar» – was für Laien klingt, wie japanischer Eintopf, war, sagt er, ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte.
Denn in Asilomar versuchten Gentechniker zum ersten Mal sich selbst Regeln aufzuerlegen. Warum? Weil sie fanden, dass die Werkzeuge, die sie entwickelt hatten, Eingriffe ins Erbgut ermöglichten, die sie sich zumindest gut überlegen wollten (siehe Box). Für Baltimore gilt heute wie damals: «Wir sind in der Pflicht, uns diese Gedanken zu machen». 1975 ging es um rekombinante DNA, heute ums Geneditieren und die Genschere CRISPR.
2015 ruft Baltimore mit anderen den ersten «Human Genome Editing Summit» zusammen. Sie wollen eine breite Debatte, laden die Öffentlichkeit mit ein, es wird live gebloggt, gestreamt, getwittert. Und es wird nicht nur unter Genetikern gesprochen, Ethikerinnen sind dabei, auch Patienten mit Genkrankheiten. Das Ziel: über Regeln fürs Geneditieren diskutieren (siehe Box).
Doch wie effektiv all die akademischen Diskussionen um selbstgewählte Regeln sind, steht spätestens 2018 arg in Frage. Der Chinese He Jiankui präsentiert 2018 beim Summit Nr. 2 in Hongkong Daten, die zeigen sollen, dass er Embryos so editiert hat, dass daraus zwei Mädchen wuchsen, die kein HIV bekommen können.
He rechnet damit gefeiert zu werden, und täuscht sich. Das Publikum aus renommierten Forschern aus der ganzen Welt ist geschockt, nicht erfreut. David Baltimore ist vor Ort und sagt: «Wir haben versagt. Unser Versuch, uns selbst freiwillig Regeln für die Arbeit mit der Geneditierung zu geben, ist gescheitert.» Dabei waren die Regeln eigentlich klar: Solange man die Technik noch nicht besser verstanden habe, sei es unverantwortlich sie an Embryos anzusetzen.
He Jiankui hatte es trotzdem getan. Gut ging es nicht aus für ihn (siehe Box), doch er machte eines klar: Das mit dem «sich selbst Regeln geben», war einfacher gesagt als getan.
Der Schweizer Dieter Egli ist einer der wenigen Forscher in der Welt, die trotz des Eklats immer noch mit Genmanipulation an Embryonen arbeiten. Sein Labor ist an der Columbia University in New York. In den USA ist die Forschung an Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Gelder aufzutreiben ist für Egli viel schwieriger als für viele andere Forscher. Der He Jiankui-Effekt sei deutlich. «Das hat das ganze Feld stark abgekühlt», sagt Egli.
Die Technik, die He Jiankui nach eigenen Angaben verwendet hatte, hatte Dieter Egli 2018 gerade im eigenen Labor in New York in Prüfung. Als Egli schliesslich mit seinen Experimenten fertig war, war sein Fazit verheerend: «Die Technik hat katastrophale Auswirkungen im Embryo.» Egli geht deshalb davon aus, dass He’s Experimente längst nicht nur die zwei gesunden Mädchen hervorbrachten, sondern viele Embryos mit heftigen Chromosomenschäden. Was He für den grossen Durchbruch hielt, ist in Eglis Augen unbrauchbar.
Inzwischen prüft Egli eine neuere, womöglich weniger fehleranfällige Technik. Die Ergebnisse stehen noch aus. Mehr Forschung helfe, zu klären, was wirklich möglich sei und was eben nicht, sagt er: «Ich arbeite selbst mit diesen Techniken, ich sehe, wie schwierig es ist.» Diesen Realitätscheck in seriösen Labors hält er für wichtig: «Sonst erwartet man schnell zu viel, und das heisst auch, dass Chancen und Bedrohung dieser Technik übertrieben gross wahrgenommen werden.»
Unterdessen macht der Chinese He Jiankui wieder von sich reden. Zuletzt, so berichtet es das Online-Magazin StatNews, soll ihm ein amerikanischer Cryptocurrency-Entrepreneur eine Million Dollar angeboten haben. Das Ziel: Alzheimer zu bekämpfen, mit genetischer Manipulation am Embryo. StatNews zitiert aus der Email des Entrepreneurs an He: «Die Welt braucht mehr solcher mutiger Wissenschaftler, wie Sie! Solche, die Risiken eingehen, um der Menschheit zu helfen.»
Alzheimer per Geneditierung aus der Welt schaffen – Fachleute wie Dieter Egli oder David Baltimore halten solche Ideen für absurd. Doch wieder zeigt He etwas auf: er prescht vor und lockt damit Geld an. Seine Ideen paaren sich perfekt mit dem Silicon-Valley-Vibe des Entrepreneurs. Heisst: Das Unterfangen der Forschergemeinde sich selbst Regeln zu geben, an die sich dann auch alle halten, ist nicht leichter, eher schwerer geworden.