Den Tag beginnt die 99-jährige Hedy Langendorf auf ihrem Hometrainer. Für ihr hohes Alter ist sie beneidenswert fit. Körperlich wie geistig. Doch die Witwe lebte alleine in ihrem Zuhause – was ihren Angehörigen nicht gefiel.
«Jetzt ist fertig! Ich möchte nicht hören, dass du eines Tages hinfällst und niemand hier ist», erklärte ihr die Tochter eines Tages. Diese Angst kennen die meisten, die betagte Eltern haben. Eine naheliegende Lösung ist das Altersheim. Doch das kam für Hedy Langendorf nicht in Frage.
Die Hilfe nach Hause holen
Also kam die Betreuung zu ihr. Und zwar in Form von Katarzyna Galeziewska – einer 24-Stunden-Betreuerin aus Polen – und ihrer slowakischen Kollegin, mit der sie sich jeden Monat abwechselt.
Hedy Langendorf will vor allem nicht allein sein, Sicherheit und Gesellschaft haben, den Haushalt abgeben können. In der Nacht lässt sie beispielsweise die Tür immer einen Spalt offen – nur für den Fall der Fälle. «Nötig war das aber noch nie», erklärt sie.
Aber auch wenn es mehr braucht als Gesellschaft und Haushaltshilfe, können Betreuungspersonen eingesetzt werden. So beispielsweise bei Lore Meier. Die 91-jährige ist körperlich und geistig fragil. Ihre Betreuerin Jadwiga Kowalewska braucht viel Verständnis. Die aus Polen stammende Frau schöpft dabei aus ihrer Erfahrung mit den eigenen Eltern, die vor zehn Jahren gestorben sind.
Unter fairen Bedingungen geht die Rechnung auf
Dabei sind viele der Pendelmigrantinnen eigentlich beruflich überqualifiziert. Jadwiga Kowalewska beispielsweise lernte in ihrer Heimat Polen Kauffrau. Doch gute Arbeit ist dort rar. Und da ihre Kinder nun erwachsen sind, entschloss sie sich zu einem Leben als Pendelmigrantin. Sie lebt sechs Wochen in der Schweiz bei Lore Meier und dann sechs Wochen in Polen.
Für sie geht diese Rechnung auf. Mit dem verdienten Geld kann sie nämlich ihre Kinder unterstützen, sich ab und zu sogar Ferien oder einen Besuch beim Coiffeur leisten.
Bei Frau Meier und Jadwiga Kowalewska stimmt das Verhältnis – für beide Parteien. Denn die demenzkranke Lore Meier schläft die Nacht durch, ist am Tag zufrieden, und die Familie anerkennt auch die Bedürfnisse der Betreuerin. So hat Jadwiga Kowalewska immer wieder Pausen und Freizeit, die sie nach ihren Wünschen gestalten kann.
Doch nicht alle Arrangements sind so glücklich. So mancher Schweizer Haushalt, der eine Betreuerin beschäftigt, nimmt den Begriff 24-Stunden-Betreuung allzu wörtlich.
«Du bist schliesslich eine 24-Stunden-Betreuerin»
Frau B. (Name der Redaktion bekannt), eine 24-Stunden-Betreuerin, musste jeden Tag warten, bis ihre Kundin ins Bett wollte. Doch die Betagte war auf eine spezielle Windel angewiesen, die sie jeweils vor dem Schlafengehen angezogen bekam. Ins Bett wollte sie jedoch nicht vor 23 Uhr, obwohl sie davor auch schon schlief – nur vor dem Fernseher.
Frau B. musste darum jeden Tag wach bleiben und abwarten. Meist erst nach Mitternacht konnte sie dann ihrer Kundin die Windel anziehen und endlich selbst ins Bett. Die Kundin empfand ihr Verhalten als korrekt. «Du bist hier schliesslich eine 24-Stunden-Betreuerin», sagte sie.
Und nicht nur die Hilfesuchenden können für Schwierigkeiten sorgen. Denn in den meisten Fällen wird eine Betreuungsperson durch ein Unternehmen engagiert. Und nicht alle meinen es nur gut mit ihren Angestellten.
Frau B. war beispielsweise wiederholt für eine Firma tätig, die illegal aus der Slowakei operiert. Jene Firma lässt Frauen scheinbar selbständig arbeiten, also ohne Sozialversicherungen: Schwarzarbeit. Der Vertrag legt tiefe Löhne fest – unter dem in der Schweiz festgelegtem Minimallohn –, die in bar auszuzahlen sind.
Schweizer Familien sind geizig. Die schauen nur aufs Geld.
Den vermittelten Kunden wird dann 24-Stunden-Bereitschaft versprochen. Freizeit nur nach Möglichkeit. Doch der tiefe Preis und die Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft machte die Kundschaft auch nicht auf die Illegalität aufmerksam. Es war ihr schlicht gleichgültig, so Frau B. «Schweizer Familien sind geizig. Die schauen nur aufs Geld», fasst Frau B zusammen.
Faire Löhne und würdige Entschädigung der Präsenzzeit
Tiefe Preise klingen verlockend. Laut dem Verleiher Silvain Kocher kann es sich bei einem vereinbarten Preis von weniger als 6000 Franken pro Monat jedoch nicht um eine faire Anstellungsbedingung handeln.
Nur wenn der Preis über diesen 6000 Franken liege, erhält der Betreuer oder die Betreuerinnen, nach Abzügen von Kost und Logis und den Sozialabgaben, einen Nettolohn von etwa 2700 bis 3200 Franken.
Eliane Albisser arbeitet beim Rechtsdienst der Gewerkschaft des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Für sie ist eines klar: Nur wenn für die Arbeit der 24-Stunden-Betreuung auch das Arbeitsgesetz gilt, kann ein faires Anstellungsverhältnis wirklich gewährleistet werden. Denn dort werden Ruhezeiten festgelegt und eine faire und würdige Entschädigung der Präsenzzeit verhandelt.
Heutige Reform-Vorschläge mündeten lediglich in einen unverbindlichen Modell-Normalarbeitsvertrag des Bundes. Zu dessen Umsetzung müssen die Kantone nun bis im Sommer Stellung beziehen.
Trotz heute bestehender Gesetzeslücken: Werden diese nicht von Verleiher, Vermittler oder der Kundschaft ausgereizt und stimmt die Chemie zwischen Betreuenden und Betagten, können durchaus herzliche Beziehungen entstehen. So, wie es bei Lore Meier und ihrer Betreuerin Jadwiga Kowalewska der Fall ist.