Zur Sucht wird schon lange und viel geforscht – und viele Theorien wieder verworfen, angepasst oder ergänzt. War man im 19. Jahrhundert noch davon überzeugt, dass Alkoholismus in jedem Fall vererbt wird und Kinder aus Trinkerfamilien damit keine Chance auf ein nüchternes Leben hätten, war man im 20. Jahrhundert vom genauen Gegenteil überzeugt: Gene spielen keine Rolle – den einzigen Einfluss darauf, ob ein Mensch alkoholkrank wird oder nicht, hat das Milieu, also das Umfeld, in dem er lebt.
Im 21. Jahrhundert nun weiss man: Ganz so einfach ist es nicht mit der Entstehung von Süchten. Zwar tragen Kinder alkoholabhängiger Eltern tatsächlich eine genetische Veranlagung zum Alkoholismus in sich. Das weiss man aus Untersuchungen an Adoptivkindern: Die Kinder, deren leibliche Eltern Trinker waren, griffen später auch selbst häufiger zur Flasche – selbst dann, wenn in ihrer Adoptivfamilie keiner trank.
«Biopsychosoziales» Modell
Aber: Nicht jeder mit einem solchen schweren Erbe wird automatisch Alkoholiker. Hier kommt das «biopsychosoziale Modell» zum Tragen. Nicht nur die Gene haben einen Einfluss, sondern auch die psychische Verfassung eines Menschen sowie sein Umfeld.
Kinder, die durch Vorbilder gelernt haben, ihre Probleme anders zu lösen als sie in Alkohol zu ertränken, werden später seltener zur Flasche greifen – noch dazu, wenn sie in einem Umfeld leben, in dem Alkohol keine grosse Rolle spielt. Konnten die Kinder zudem in einem stabilen Umfeld ohne einschneidende Schicksalsschläge aufwachsen, sind sie trotz ihrer genetischen Anlage auf gutem Weg.