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Psychiatrische Hilfe – Besser zuhause statt in der Klinik
Aus Puls vom 23.04.2018.
abspielen. Laufzeit 14 Minuten 45 Sekunden.

Chance «Home Treatment» Hilfe für die Psyche – zuhause statt in der Klinik

Die Hälfte aller Patienten könnte in den eigenen vier Wänden therapiert werden. Mit Vorteilen für sich und ihr Umfeld.

Hinter psychiatrischen Diagnosen verbergen sich ganz reale Ausnahmesituationen: Der Freund, die Frau, der Vater, die Tochter funktionieren im Alltag nicht mehr.

Für gut 90'000 Menschen in der Schweiz bedeutet dies einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. In manchen Fällen ist das nicht vermeidbar, bei 50 Prozent könnte die Behandlung aber auch in den eigenen vier Wänden stattfinden. Je nach Quelle ist sogar von bis zu 70 Prozent die Rede.

Das Prinzip ist simpel: Nicht der Patient geht in die Klinik – die Klinik kommt zu ihm. Ein multi-professionelles, mobiles Team von Psychiatrie-Fachleuten macht beim Patienten zuhause, was es sonst in der Klinik tut.

Das Konzept nennt sich «Home Treatment» oder auf gut Fachdeutsch: «Stationsäquivalente Behandlung zuhause».

Profis zu Gast bei Patienten

Die Vorteile sind bestechend: Betroffene bleiben im vertrauten Umfeld, die Angehörigen und das Umfeld des Patienten sind automatisch in die Behandlung involviert.

Der Patient wird nicht im künstlichen Klinikalltag therapiert, sondern lernt, mit seinen Problemen im Lebensalltag fertig zu werden – innerhalb der Familie, wenn möglich sogar im Job.

Die Kinder psychisch kranker Eltern sind in der Klinik unsichtbar, zu Hause aber nicht zu übersehen. Sie sind darum automatisch Teil der Therapie. Probleme mit Angehörigen werden gemeinsam angegangen, vor allem in Akutsituationen. Pfleger und Ärzte können unter echten alltäglichen Bedingungen eruieren, wie ihre Therapien anschlagen – als Gäste im Zuhause des Patienten.

Natürlich eignet sich nicht jeder Patient für ein Home Treatment. Und nicht zuletzt funktioniert ein Home Treatment nur, wenn alle Mitglieder eines Haushalts es mittragen und das häusliche Umfeld für Erkrankte keine zusätzliche Belastung ist.

Studienergebnisse sprechen für sich

Erste Studien zeigen:

  • Home Treatment verkürzt die Behandlungsdauer und ist – weil die Hotellerie entfällt – günstiger als ein stationärer Aufenthalt.
  • Die Einschnitte in das soziale Gefüge der Patienten sind geringer.
  • Die Patienten selber sind zufrieden.
  • Die Angehörigen akzeptieren die Behandlung eher.
  • Die Wirksamkeit ist mindestens so gut wie bei einem Klinikaufenthalt, wenn nicht sogar besser.

Zudem wird der sogenannte «Drehtüreffekt» vermindert: Home Treatment verhindert, dass sich Patienten in der Klinik besser fühlen als zu Hause und deshalb nach der Entlassung gleich wieder in die geordnete Welt der Klinik zurück wollen.

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Was vergütet wird – und was (noch) nicht
Aus Puls vom 23.04.2018.
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Die Fachwelt ist sich einig: Home Treatment ist eine gute Sache. Trotzdem bietet kaum eine psychiatrische Klinik diese Form von mobilem Dienst an. Während sich das Angebot in Ländern wie den USA, den Niederlanden, in Grossbritannien, Australien, Dänemark und Norwegen bereits etabliert hat, steckt es in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Lediglich in Luzern, in Zürich, im Aargau und in Genf gibt es Angebote. Pionier dabei: die Luzerner Psychiatrie, die Home Treatment seit 2007 anbietet.

Knacknuss Finanzierung

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  • Home Treatment kostet zwei Drittel eines stationären Aufenthalts.
  • 30 Prozent aller Behandlungen in der Klink können eingespart werden.
  • Gesamtschweizerisch besteht ein Sparpotential von mindestens 100 Millionen Franken.

Ambulante Behandlungen werden normalerweise von den Versicherungen übernommen, wobei die einzelnen Leistungen nach TARMED vergütet werden. 4600 Leistungen sind im Tarifsystem beschrieben und werden von den Krankenkassen entsprechend bezahlt.

Kostensparend, aber nicht kostendeckend

Beim Home Treatment werden Leistungen erbracht, die nicht durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgedeckt sind und daher im TARMED keine Position haben. Dazu gehören etwa die Autofahrten zwischen den Patientenbesuchen oder deren Koordination. Auch Leistungen, die in den Bereich der Sozialarbeit gehen und die für das Konzept des Home Treatments sehr wichtig sind, fehlen: zum Beispiel ein Gespräch mit dem Arbeitgeber des Patienten.

Damit die Kliniken trotzdem kostendeckend arbeiten können, haben sich Kanton und Krankenkassen in Luzern, Aargau und Zürich darauf geeinigt, die Kosten fürs Home Treatment gemeinsam zu tragen – nach dem Verteilschlüssel eines stationären Aufenthalts. Der Kanton übernimmt 55 Prozent der Kosten, die Krankenkassen den Rest.

Unsichere Basis, langwieriger Prozess

Aus dieser Vereinbarung könnten die Krankenkassen jederzeit wieder aussteigen, da die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Diese müsste der Bund erlassen.

Ein laufendes Projekt mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) soll die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für alle mobilen psychiatrischen Dienste in der Schweiz aufzeigen.

Der Schlussbericht wird im zweiten Quartal 2018 erwartet. In der Folge könnten Massnahmen formuliert werden, die auch das Home Treatment betreffen.

Viele Kantone haben das wirtschaftliche und therapeutische Potenzial des Home Treatments bereits erkannt, doch Veränderungen bei Gesetzen und Tarifen brauchen Zeit, weil viele Interessengruppen mitreden.

Krankenkassen, Gesundheitsdirektionen, psychiatrische Institutionen und BAG müssen gemeinsam zur Überzeugung kommen, dass es neben dem bisherigen Angebot der stationären, teilstationären und ambulanten Versorgung auch ein Home-Treatment-Angebot geben muss, weil ein Teil der psychisch kranken Menschen damit am besten versorgt ist.

Dies hätte wahrscheinlich Folgen auf die Anzahl Betten der stationären Versorgung: Kliniken müssten eventuell Abteilungen schliessen oder umnutzen. Nicht jeder Klinik dürfte dieser Gedanke gefallen.

Bis sich die Akteure gefunden und alle Schwierigkeiten zur kostendeckenden Vergütung von Home Treatment beseitigt sind, dürfte es noch einige Zeit dauern.

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