Irene Rapold ist ein Citizen Scientist, eine Bürgerforscherin. Ihre Expertise: Multiple Sklerose (MS). Vor zwölf Jahren bekam sie selbst die Diagnose.
Bei MS greift das Immunsystem die Nervenzellen an. Mit dem Effekt: Irene Rapold ermüdet schnell, hat oft Schmerzen und Empfindungsstörungen bis hin zu Lähmungen. Ihre Krankheit würde sie gerne besser verstehen, denn vieles ist bei MS noch immer unklar.
Laien unterstützen die Forschung
Deswegen ist Irene Rapold Teil eines Teams aus Betroffenen und Experten geworden, die gemeinsam das neue Schweizer MS-Register aufbauen. Sie machen dies im Rahmen eines Citizen-Science-Projekts.
Bürgerforscher engagierten sich bislang vor allem in der Biodiversitätsforschung: Laien zählen etwa Wildschweine oder Stechmücken und liefern die Daten den Forschern.
Doch das MS-Register ist kein alltägliches Citizen-Science-Projekt. Denn hier sind die Betroffenen längst nicht nur Datenlieferanten. Einige von ihnen haben am wichtigsten Tool für die Datenerhebung mitgearbeitet: dem Fragebogen.
Die richtigen Fragen stellen
Denn wer kann besser die entscheidenden Fragen stellen, als die Patienten selbst? Es geht um Medikamente, Ernährung, Sport. Aber auch um Arbeitsplatz, Familie oder Freundschaften. Alle sechs Monate füllt Irene Rapold den Fragebogen aus.
«Wenn ich fertig bin, habe ich den Eindruck, dass jetzt alles dokumentiert ist. Ich kann das wieder beiseite legen. Ich bin wieder die Irene und bin nicht auf meine Krankheit reduziert.» Irene Rapold befreit das.
Das Projekt liefert neue Erkenntnisse
Für die Forscher um Viktor von Wyl vom Institut für Epidemiologie an der Universität Zürich, bei denen die Auskünfte von inzwischen rund 2000 MS-Kranken zusammenlaufen, ist es ein wahrer Datenschatz. Ergänzt wird das Register mit Infos aus Tagebüchern, Krankenakten und einer medizinischen MS-Datenbank.
Die Datenanalyse offenbart bereits erste Erkenntnisse. Beispielsweise kommt MS bei Frauen offenbar häufiger vor als bislang angenommen. Oder: Niedergelassene Ärzte tun sich mit der Diagnose oft schwer. Es kann Jahre dauern, bis die Patienten wissen, was sie für eine Krankheit haben.
«Da müssen wir einfach besser werden», sagt Jürg Kesselring, Neurologe und Präsident des MS-Registers. «Das können wir nur, wenn wir erfahren, was die Betroffenen erlebt haben.»
Betroffene sollen überall involviert sein
Die Erfahrungen der Betroffenen geben oft auch den Anstoss für neue Projekte. Beispielsweise beschreiben viele, dass ihnen Sport guttut. In Resonanzgruppen diskutieren die Experten mit Betroffenen wie Irene Rapold, wie das Thema weiter untersucht werden soll.
«Wir legen grossen Wert darauf, dass die Betroffenen überall involviert sind», sagt Viktor von Wyl. «Das Ziel ist, dass sie das Multiple-Sklerose-Register als ihr Register wahrnehmen.»
Weiteres Ziel: künftig sollen auch für andere chronische Krankheiten, wie Rheuma, Diabetes oder Depressionen, Register entstehen – mit vielen Patienten als Citizen Scientists.
Sendung: 3sat, nano, 4.6.2018