Bei Pascal Steiner (59) ist es die Erinnerung an den Schulzahnarzt. Mit einem mobilen Zahnarztstuhl untersuchte er in den 70er-Jahren im Schulzimmer die ganze Klasse. Als der Viertklässler Pascal an der Reihe war, kommentierte der Zahnarzt vor der ganzen Klasse: «Was für ein Chaos hast Du denn in Deiner Schnauze!» Die ganze Klasse lachte. «Und ich war traumatisiert», erinnert sich Steiner.
Da war nicht nur die Scham, dazu kam auch noch die Angst vor dem Zahnarzt. «Das ging so weit, dass ich einen Brechreiz entwickelte, wenn mir der Zahnarzt in den Mund schaute.»
Verbreitete Vermeidungshaltung
So wie Pascal Steiner geht es vielen. Jede fünfte Person in der Schweiz hat Angst vor dem Zahnarzt, so eine Erhebung der Schweizerische Zahnärztegesellschaft SSO. Ängste, die so weit gehen, dass ein Vermeidungsverhalten an den Tag gelegt wird. Alles, bloss nicht zum Zahnarzt.
Eine Umfrage der britischen Dental Health Organisation hat gezeigt, dass eine Grosszahl der Befragten sich lieber scheiden lassen würde, als zum Zahnarzt zu gehen.
Heute werden Zahnärztinnen und Zahnärzte bereits in der Ausbildung für die Ängste ihrer Patientinnen und Patienten sensibilisiert. Es gibt Praxen, die sich auf Angstpatienten spezialisiert haben. «Ich sage den Patientinnen und Patienten immer: Vor mir müssen sie keine Angst haben, höchstens vor der Behandlung», sagt Reto Spycher. Er ist Zahnarzt im bernischen Gümligen. Patientinnen und Patienten mit einer Dentophobie – so der klinische Ausdruck für die Angst vor dem Zahnarzt – empfiehlt er, bereits bei der Terminvereinbarung ihre Ängste zu offenbaren. «So kann sich das ganze Team entsprechend vorbereiten.»
Im schlimmsten Fall eine Narkose
Gegen die Angst kann eine Psychotherapie helfen, manchmal helfen auch Beruhigungsmittel. Wenn nichts mehr geht, bleibt nur die Vollnarkose. Sehr hilfreich ist das Verständnis des Zahnarztes oder der Zahnärztin. Viele arbeiten auch mit alternativen Methoden wie der Hypnose. Spycher arbeitet mit der Akupunkturmassage nach Radloff. «Die Patienten fühlen sich beim Zahnarzt ausgeliefert, es wird nah am Kopf, unserem eigentlichen Bewusstsein, gearbeitet, man kann nicht fliehen – all das macht Angst.»
Es ist ein Teufelskreis: Wer nicht zum Zahnarzt geht, riskiert schwere Zahnschäden. Ein Zahn steckt den anderen an, das kann so weit gehen, dass nicht nur ein Zahn gezogen werden muss. «Da ist es besonders wichtig, dass man jeden Behandlungsschritt ganz genau mit dem Patienten oder der Patientin bespricht.» Je länger jemand nicht mehr beim Zahnarzt war, umso grösser ist die Angst vor der Zahnärztin und auch diejenige vor den Kosten der Zahnbehandlung.
Das kennt auch Pascal Steiner. Jahrelang mied er den Zahnarzt und hielt Schmerzen aus – bis er sich vor vier Jahren einen Schneidezahn herausschlug. «Jetzt musste ich mich behandeln lassen», sagt Steiner. Zum Glück fand er einen verständnisvollen Zahnarzt, der ihn auch nicht tadelte für seine Versäumnisse. Die Angst hatte aber ihren Preis, Steiner bekam zwei Teilprothesen, eine für die obere Zahnreihe und eine für die untere.