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Diabetes bei Kindern Diabetes-Rekordzahlen bei Kindern stellen Forschende vor Rätsel

Weltweit stiegen die Diabetes-Typ 1-Diagnosen bei Kindern vor vier Jahren sprunghaft an. Ein Zusammenhang mit der Corona-Pandemie scheint naheliegend – aber bis heute rätseln Experten, was genau die Diabetes-Rekorde verursacht hat: das SARS CoV2-Virus – oder gar die Infektionsschutzmassnahmen?

Rund 3500 Kinder und Jugendliche hierzulande leben mit Diabetes Typ 1, einer der häufigsten Autoimmun- und Stoffwechselkrankheiten bei jungen Menschen. Jahrelang war die Neuerkrankungsrate relativ stabil – bis zu Beginn der Pandemie etwas passierte, das bislang niemand erklären kann: Die jährliche Steigerung der Neuerkrankungen verzehnfachte sich plötzlich – von etwa zwei auf rund 20 Prozent. Das zeigen internationale Zahlen.

Was bei Diabetes Typ 1 im Körper passiert 

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Diabetes Typ 1 ist eine unheilbare Krankheit. Zunächst zerstört das fehlgeleitete Immunsystem die sogenannten Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Diese Zellen produzieren das Hormon Insulin. Insulin ist wichtig, damit die Körperzellen Glukose – also Zucker – aus dem Blut überhaupt aufnehmen und verwerten können. Ohne Insulin bleibt der Zucker im Blut und kann nicht genutzt werden. Menschen mit Diabetes Typ 1 brauchen deshalb ihr Leben lang eine Insulintherapie. 

Im Frühstadium der Krankheit beginnt der Autoimmunprozess, also die langsame Zerstörung der Betazellen. In dieser Phase kann der Diabetes nur über bestimmte Biomarker im Blut nachgewiesen werden. Erst im dritten Stadium zeigen sich Symptome: Die Betroffenen haben grosser Durst, scheiden viel Urin aus und nehmen stark ab. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer schweren Stoffwechselentgleisung, der sogenannten Ketoazidose. Diese kann unbehandelt tödlich enden. 

Höchstwerte auch in der Schweiz 

Auch in der Schweiz stiegen Neudiagnosen, wenn auch etwas weniger deutlich. «Die höchsten Zahlen haben wir tatsächlich 2021 gehabt», sagt Daniel Konrad, Chefarzt für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitäts-Kinderspital Zürich.

Kind injiziert sich Insulin in den Arm.
Legende: Neudiagnosen der unheilbaren Krankheit Diabetes Typ 1 nahmen bei Kindern seit der Pandemie stark zu. IMAGO / Shotshop

Seinen Angaben zufolge traf die Erkrankung vor der Pandemie etwa 200 Kinder pro Jahr – 2021 dann aber zwischen 240 und 250. «Und zeitlich gibt es natürlich eine klare Koinzidenz zur Corona-Pandemie.»

Wen die Erkrankung trifft

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Die Krankheit bricht in der Regel schon im Kindesalter aus. Sie trifft nur Menschen, die durch bestimmte Gene dafür anfällig sind.

Allerdings reicht die genetische Veranlagung allein nicht aus. Hinzu kommen ungünstige Umweltfaktoren, die Fachleute als Triggerfaktoren bezeichnen. Neben bestimmten Viruserkrankungen stehen etwa ein Vitamin-D-Mangel und der frühe Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel bei Babys im Verdacht, Diabetes zu triggern.

Das heisst: Nicht jeder, der Risiko-Gene hat, entwickelt automatisch auch einen Diabetes. Aber jeder, der einen Diabetes entwickelt, trägt diese Risiko-Gene in sich.

Nur: Was genau die Rekordzahlen verursacht hat, ist unklar. Denn die Datenlage ist unvollständig und teils widersprüchlich.

Was verraten die Blutproben? 

Aber Erklärungsversuche gibt es mehrere: Einige Studien deuten darauf hin, dass SARS-CoV-2 ein Diabetes-Triggerfaktor ist bei Menschen, die genetisch bedingt ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. Das heisst konkret: Das Coronavirus könnte  – ähnlich wie etwa das Coxsackie-Virus – jenen Autoimmunprozess auslösen oder beschleunigen, der die insulinproduzierenden Bauchspeicheldrüsenzellen zerstört.

So haben etwa Forscher aus München und Leipzig während der Pandemie regelmässig Blutproben von 885 Kleinkindern mit Diabetes-Risikogenen analysiert. Dabei zeigte sich: Jene Kinder, die sich mit SARS-CoV-2 infizierten, entwickelten doppelt so häufig ein Diabetes-Frühstadium wie Kinder ohne Covid. Nachweisbar war das über spezielle Auto-Antikörper in ihrem Blut.

Fehlten dem Immunsystem Trainingsmöglichkeiten?

Ein zweiter Erklärungsversuch für die Diabetes-Rekordzahlen weist in eine ganz andere Richtung: Einige Studien legen nämlich nahe, dass eventuell auch der Infektionsschutz während der Pandemie eine Rolle gespielt haben könnten. – Stichwort: fehlendes Training fürs Immunsystem.

«Wir haben Masken getragen. Wir haben die Hände desinfiziert. Wir sind nicht mehr rausgegangen», so Daniel Konrad vom Uni-Kinderspital Zürich. «Das Immunsystem war weniger beschäftigt mit der Bekämpfung von anderen viralen Infekten. Und vielleicht kann das dann bei einem genetisch prädisponierten Menschen die Entwicklung einer Autoimmunität fördern. Ich glaube, das wäre auch möglich.»

Echte Zunahme – oder bloss andere Verteilung?

Inzwischen ist die Zahl der Diabetes-Neudiagnosen bei Kindern jedenfalls wieder deutlich gesunken. Deshalb vermuten manche Fachleute: Langfristig betrachtet gibt es vielleicht insgesamt gar nicht mehr Fälle – sondern sie haben sich auf den Pandemiebeginn vorverlagert und dort gehäuft. Ob das wirklich so ist und ob einer oder mehrere Faktoren die vielen Diabetes-Neudiagnosen verursacht haben – das muss weitere Forschung zeigen.

Wissenschaftsmagazin, 18.01.2025, 12:40 Uhr

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