Der Boden und die Wände im Behandlungszimmer bewegen sich plötzlich. Wo der eigene Körper aufhört und das Sofa anfängt? Schwer zu sagen. Das berichten Menschen mit Depressionen, die am Burghölzli in Zürich einen Trip mit Zauberpilzen erleben.
Für ein paar Stunden scheint sich ihre Realität aufzulösen. Sie machen diese halluzinogene Erfahrung für die Wissenschaft und weil sie auf bessere Heilung hoffen.
Depressionen nehmen zu
An den Universitäten Zürich und Basel sehen Neuroforschende in psychedelischen Stoffen grosses Potenzial. LSD, Zauberpilze oder auch GHB, besser bekannt als «Liquid Ecstasy», könnten die Psychiatrie aus der Sinnkrise holen.
Seit Jahren fehlt es an Innovationen, wie psychische Krankheiten wirksamer behandelt werden könnten. Noch sind Psychedelika verboten. In ein paar Jahren könnten sie zur Alternative für Antidepressiva werden.
Depressionen sind das häufigste psychische Leiden. Weltweit leiden etwa 340 Millionen Menschen daran, 30 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer haben Depressionen erlebt. Während der Corona-Pandemie, die viele als belastend für die Psyche empfinden, haben sich depressive Symptome noch verstärkt. Das zeigt eine Studie der Uni Basel.
Ein Trip lässt keine Pause
Aktuell laufen in der Schweiz drei klinische Studien, die die Wirkung von Psychedelika auf depressiv erkrankte Menschen untersuchen. Zauberpilze, auch «Magic Mushrooms» genannt, enthalten den Wirkstoff Psilocybin. Wie dieser Stoff bei Depressionen hilft, will das Forschungsteam der Psychiatrischen Uniklinik Zürich am Burghölzli herausfinden.
Ein Trip mit Magic Mushrooms dauert etwa sechs Stunden. Diese relativ kurze Dauer ist auch der Grund, weshalb Katrin Preller und ihr Team die Studie nicht mit LSD durchführen. Die Wirkung wäre zwar die gleiche, doch ein LSD-Trip kann bis zu zwölf Stunden anhalten.
«So eine Erfahrung ist für alle anstrengend», sagt die Neuropsychologin im Videogespräch. «Der Patient ist ja nicht zwischendurch nüchtern, sodass man Mittagspause machen könnte.» Begleitend zu dieser einmaligen Sitzung machen alle Studienteilnehmenden eine Psychotherapie mit.
Ausbrechen aus Gedankenschleifen
Probandinnen und Probanden können nicht erzählen, wie sie die Trips erleben. Denn die Studien sind verblindet – das heisst, weder Therapeutinnen noch Patienten wissen, wer den Wirkstoff erhält und wer zur Kontrollgruppe gehört und ein Placebo, ein Scheinarzneimittel, einnimmt. Deswegen berichten in diesem Artikel die Forscherinnen und Forscher von den Experimenten.
Neuropsychologin Katrin Preller erzählt, dass sich die Probandinnen und Probanden im Trip anders spüren: «Die Substanzen führen dazu, dass man quasi einen Schritt zurück gehen kann, sich neu wahrnimmt», sagt Preller.
Menschen mit Depressionen erleben auf Psilocybin eine Distanz zu sich, durch die sie aus negativen Gedankenschleifen rauskommen. Das Gehirn programmiert sich sozusagen neu.
Heftiger, aber vielleicht auch heilender
Für Prellers Kollegen Matthias Liechti aus Basel ist die zwölfstündige Wirkung von LSD keine Hürde. Mit dem Wirkstoff aus Zauberpilzen gebe es schon einige Studien zu Depressionen, sagt der Professor für klinische Pharmakologie: «Zu LSD gibt es aber nichts.»
Deswegen forschen sie am Universitätsspital und an der psychiatrischen Uniklinik Basel mit LSD. «Grundsätzlich nehmen wir an, dass die Wirkung ähnlich sein könnte wie bei Psilocybin», sagt Liechti am Telefon.
Die Dosis mit LSD ist in diesem Experiment ziemlich hoch. Ab etwa 20 Mikrogramm spüren die meisten einen Effekt der Droge, für die Basler LSD-Studie bekommen die Patientinnen und Patienten 100 Mikrogramm LSD. Wenn sie sich mehr zutrauen, verdoppeln die Forschenden die Dosis bei einer zweiten Sitzung auf 200 Mikrogramm. Ein heftiger Trip.
«Eine höhere Dosis hat natürlich ein höheres Risiko, dass es unangenehm ist», gibt Liechti von sich aus zu und schiebt hinterher: «Der Heilungseffekt ist aber auch potenziell grösser.»
Angst kann kommen – sie geht aber auch wieder
Etwa ein Fünftel der Probandinnen und Probanden bekommt es während des Trips mit der Angst zu tun, schätzt Matthias Liechti: «Patienten können Verfolgungsgedanken haben», sagt der stellvertretende Chefarzt am Unispital Basel. «Wenn es zu viel ist, muss man die Patienten beruhigen.» Deswegen ist immer eine Therapeutin oder ein Therapeut dabei.
Liechti stellt aber auch klar: Eine Psychose, also Denkstörungen oder Wahnvorstellungen, können psychedelische Drogen nicht auslösen – ausser die Probandinnen und Probanden hätten eine Veranlagung dazu. Das sei ein falsches Vorurteil gegenüber LSD und Zauberpilzen.
Emotionale Achterbahn statt Euphorie
LSD und Psilocybin machen nicht abhängig, es besteht also keine Suchtgefahr. Das liegt auch daran, dass ein Trip anstrengend sei, sagt Katrin Preller: «Es ist keine rein euphorische Erfahrung wie mit anderen Drogen, sondern eine emotionale Achterbahn. Die wenigsten Leute haben das Gefühl, ‹das brauche ich am nächsten Tag wieder›.»
Anders als viele Medikamente mit antidepressiver Wirkung haben Psychedelika relativ wenig Nebenwirkungen. Sie beschränken sich für gewöhnlich auf eine leichte Übelkeit zu Beginn und vorübergehende Kopfschmerzen nach dem Trip.
Das macht die illegalen Substanzen zu einer vielversprechenden Alternative zu Antidepressiva. Denn Antidepressiva wirkten nur bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten, sagt die Neuropsychologin: «Das heisst, wir haben etwa 50 Prozent, die nicht genug von Medikamenten profitieren.»
Und auch wenn das Antidepressivum anschlägt, haben fast alle mit Nebenwirkungen zu kämpfen: Vielfach belasten Gewichtzunahme oder Schläfrigkeit Betroffene. Wenn die Forschenden mit ihren Studien Erfolg haben, hiesse das für depressiv Erkrankte: Ein Trip mit Psilocybin oder LSD – anstatt täglich Tabletten schlucken. Eine völlig neue Behandlungsmethode.
Psilocybin und LSD programmieren das Gehirn neu
Was bewirken die Pilze und LSD? Neuropsychologin Katrin Preller spricht von einem Türöffner: Das Psilocybin aktiviert das Gehirn so, dass es Informationen anders verarbeitet.
Konkret dockt die Substanz an einen bestimmten Rezeptor im Gehirn an, den Serotonin-2-A-Rezeptor. «Wenn sie in den Rezeptor reingegangen ist, geht sozusagen das Schloss auf. Das führt dazu, dass die Zelle stärker feuern kann», sagt Preller. «Wenn das Hirn in gewissen Bereichen anders aktiv ist als gewöhnlich, ändert sich auch das Zusammenspiel im ganzen Gehirn.»
Die Forscherin hofft, dass es Patientinnen und Patienten schon nach einer oder maximal zwei Sitzungen über Monate hinweg deutlich besser geht.
Das Gehirn – ein weisser Fleck
Warum es depressiv Erkrankten nach einem Trip mit LSD oder Psilocybin anhaltend besser geht, können die Forscherinnen und Forscher noch nicht vollständig erklären: «Wir wissen nach wie vor zu wenig, wie das Gehirn funktioniert, um dann wirklich rational Substanzen oder Medikamente zu entwickeln», sagt Kathrin Preller. «Das Gehirn ist das komplexeste Organ, das wir im Körper haben.»
Noch können die Forschenden die Wirkung von LSD und Psilocybin gegen Depressionen nur an wenigen Menschen testen. Damit diese als Medikamente für den Markt zugelassen werden können, braucht es grössere Studien mit 200 bis 300 Teilnehmenden – und entsprechende Ergebnisse.
Forschung mit Hindernissen
Solche Studien sind nicht nur teuer, sondern auch aufwändig: Für die Forschung an diesen illegalen Substanzen brauchen die Universitäten die Zustimmung vom BAG, von Swissmedic (der Heilmittelbehörde der Schweiz), der kantonalen Ethikkommission sowie eine Einfuhrerlaubnis beim Zoll. Kurzum: Die Hürde, um an den verbotenen Stoffen zu forschen, ist hoch.
Zwar interessieren sich immer mehr Universitäten aus dem Ausland für die Forschung mit psychoaktiven Stoffen, doch: «Der Kontext ist dramatisch», sagt der Psychiater Oliver Bosch von der Universität Zürich. «Immer mehr Pharmafirmen haben sich zurückgezogen und das Feld uns Unis überlassen.»
Die Psychiatrie steckt in einer Sackgasse
Dabei gäbe es grossen Bedarf für neue Heilmittel: 30 Prozent der Menschen, die an schweren Depressionen leiden, geht es trotz verschiedener Behandlungsversuche im Alltag nicht besser: «Man kann nicht sagen, dass es keinen Effort gab», sagt Neuropsychologin Preller. «Aber viele Medikamente haben dann doch nicht die erhoffte Wirkung gezeigt.»
Das erklärt den Rückzug der Pharmabranche: Neue Medikamente zu entwickeln, ist sehr teuer. Wirken sie nicht, bedeutet das für die Hersteller Verluste. Weil die Budgets der Industrie weit über den Geldmitteln von Universitäten liegen, ist es für Oliver Bosch «eine traurige Nachricht für Patienten und Kliniker».
Liquid Ecstasy zum Schlafen
Einen Ausweg aus dieser Situation nutzt Bosch mit dem sogenannten «Drug Repurposing». Dabei werden alte Präparate in eine neue Form gebracht. Bosch forscht mit GHB – besser bekannt als «Liquid Ecstasy» oder «K.O.-Tropfen».
Für medizinische Zwecke ist die Droge, anders als LSD und Psilocybin, in der Schweiz erlaubt. So wird GHB bereits heute als Medikament verschrieben: gegen die Schlafkrankheit Narkolepsie. Deswegen war es für Boschs Forschungsteam auch leichter, die Erlaubnis der Behörden einzuholen.
GHB und das Gedächtnis
Den Psychiater interessiert die «Nachtseite des Menschen», wie er es nennt. Er will Menschen mit Depressionen zu besserem Tiefschlaf verhelfen. Denn viele Depressive leiden unter Schlafstörungen. «Damit gehen häufig auch Gedächtnisstörungen einher», sagt Bosch. «Das ist ein Problem, weil es die Therapie erschwert oder behindert.» Wer sich Inhalte der Psychotherapie nicht merken könne, komme weniger gut voran.
Die Idee von Oliver Bosch: Depressive sollen in der Nacht nach der Psychotherapie GHB nehmen. In seiner Studie bekommen es die Probandinnen und Probanden im Schlaflabor. Sie trinken nachts um drei ein Glas Orangensaft. Sie wissen dabei nicht, ob GHB beigemischt wurde oder ob sie ein Placebo trinken.
GHB lässt die Menschen in einer Nacht so tief schlafen wie sonst in zwei Nächten und über mehrere Tiefschlafphasen verteilt. So viel hat der Forscher bereits herausgefunden. Der tiefere Schlaf könnte sich langfristig positiv auf das Gedächtnis auswirken. Dieser Effekt ist auch für die Demenzforschung interessant.
Drogen für eine gesunde Psyche
Dass Drogen nicht nur gegen Depressionen, sondern auch bei anderen Krankheiten helfen könnten: Das ist es, was alle drei Forschenden fasziniert. «Wir könnten auf etwas stossen, was verschiedenen psychiatrischen Krankheiten gemein ist», sagt Katrin Preller.
Wie wirksam psychoaktive Stoffe bei Cluster-Kopfschmerzen und Alkoholsucht oder nach schweren Traumatisierungen sind, dazu forschen die drei Forschungsteams bereits heute. Sobald die Pharmariesen bei der Entwicklung mitmachen, könnten mit LSD, Psilocybin oder GHB in ein paar Jahren passende Medikamente und Therapiemöglichkeiten für psychische Krankheiten auf den Markt kommen.