Die Unterschiede sind markant: Mindestens jede vierte Aufnahme in die Psychiatrie geschieht in Zürich unter Zwang. In Basel Stadt dagegen ist dagegen nur jeder zehnte Psychiatriepatient gegen seinen Willen dort.
Für Patienten wie Kliniken ist die Situation schwierig. Während sich Patienten oft völlig hilflos und entmündigt fühlen, bekommen die Ärzte unter diesen Voraussetzungen therapeutisch nur schwer Zugang zu den Betroffenen. Teils kommt zum eigentlichen psychischen Problem dann auch noch das Trauma einer Zwangseinweisung hinzu, dass ebenfalls behandelt werden muss.
Auf der Suche nach den Ursachen für die unterschiedliche Zwangseinweisungs-Quote zeigt sich schnell: Einerseits ist die Erfassung der Fälle sehr lückenhaft und uneinheitlich, die Zahlen sind deswegen nur bedingt vergleichbar. Andererseits ist die Handhabe kantonal unterschiedlich. In Zürich darf jeder zugelassene Arzt, der zum Notfall hinzugerufen wird, eine «fürsorgerische Unterbringung» (FU) festlegen. Jeder Arzt tut dies nach bestem Wissen und Gewissen. Aber: Nicht jeder Arzt hat ausreichend Erfahrung mit psychiatrischen Notfällen und kann deswegen realistisch abschätzen, ob für den Betroffenen selbst und für andere tatsächlich Gefahr besteht.
Um auf der sicheren Seite zu sein, fällt der Entscheid für eine FU deswegen möglicherweise vorschnell.
Neue Regelung seit Januar 2013
War vom Bund ursprünglich angedacht, eine Zwangseinweisung nur von Fachärzten zuzulassen, hat das Parlament diese Entscheidung schliesslich an die Kantone delegiert. In den meisten Kantonen sind deshalb seit Januar alle praktizierenden Ärzte dafür zugelassen. Ausnahmen wie Basel Stadt oder Schaffhausen geben die Berechtigung nur an festgelegt Ärzte. Im Oberaargau oder im Kanton Luzern wurden mobile Equipen mit erfahrenen Psychiatern und Psychiatriepflegekräften eingerichtet, die im Notfall ausrücken. Doch mit einem Besuch im Notfall ist es nicht getan: Der Grossteil der Patienten muss über Monate hinweg zuhause weiter betreut werden. Durch die unterstützende Hilfe bei der Medikamenteneinnahme, alltäglichen Verrichtungen oder Ämtergängen sollen die Betroffen wieder zurück ins Leben finden – doch das kostet Geld.
Egal, wo ein Patient als Notfall zwangseingewiesen wird: Er hat, ebenso wie ihm nahestehende Personen, in den ersten zehn Tagen nach der Einlieferung das Recht auf Rekurs und darf einen schriftlichen Widerspruch gegen die Massnahme einlegen. Über dieses Recht müssen Ärzte ihre Patienten seit Jahresanfang aufklären. Für Vertrauenspersonen gilt die Zehn-Tage-Regel ab dem Moment, in dem sie von der Zwangseinweisung in Kenntnis gesetzt sind. Das zuständige Gericht muss dann innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang der Beschwerde entscheiden, ob es dem Widerspruch stattgibt oder nicht. Das Entscheidgremium muss mit mindestens drei Personen besetzt sein. Ist die Frist von zehn Tagen verstrichen, kann jeder Patient ein Entlassungsgesuch stellen. Dies muss mündlich an die Erwachsenenschutzbehörde oder die Klinik gerichtet sein; wird es abgelehnt, erfolgt es schriftlich ans Gericht.
Vertrauenspersonen dürfen mitreden
Geben Betroffene eine Vertrauensperson an, haben sie noch eine weitere Möglichkeit. Laut neuer Regelung muss sie mit dem Therapieplan und den verabreichten Medikamenten einverstanden sein. Spürt sie, dass es dem Betroffenen damit nicht gut geht, kann sie sich dagegen wehren. Zusätzlich kann der Patient eine Patientenverfügung ausfüllen. Sollte es erneut zu einer Zwangseinweisung kommen, müssen Ärzte und Pflegende nach dieser Verfügung handeln.
Seit der Einführung des neuen Erwachsenenschutzrechtes gibt es auch eine klare gesetzliche Regelung zur Zwangsmedikation. In Notfallsituationen mit akuter Selbst- oder Fremdgefährdung kann ein Patient zu seinem Schutz Beruhigungsmittel oder Neuroleptika bekommen – ausser, jemand hat sich in seiner Patientenverfügung dagegen ausgesprochen. Zudem darf mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht nur noch die kantonale Erwachsenenschutzbehörde darüber entscheiden, ob ein Patient gegen seinen Willen festgehalten werden darf.
Eine solche unfreiwillige ärztliche Unterbringung gilt im Höchstfall für sechs Wochen. Wenn die Erwachsenenschutzbehörde keine weitere Anordnung gemacht hat, ist der Patient danach entlassen. Sollte eine weitere Unterbringung nötig sein, prüft die Behörde den Fall nach einem halben Jahr noch einmal und danach im Jahresrhythmus. Die Intervalle klingen erschreckend lang, allerdings fallen unter die FU auch Fälle wie geistig Behinderte, die auf Dauer ein unterstützendes Umfeld wie eine betreute Wohneinrichtung brauchen, oder Demente, die in eine Alterseinrichtung eingewiesen werden und die man dann aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr entlassen kann.