Ferien sind für die meisten von uns die schönste Zeit im Jahr. Endlich raus aus dem Alltag. Endlich Zeit für sich selbst, für Freundinnen und Freunde und die Familie.
Die Möglichkeiten zur Feriengestaltung sind vielfältig: Kultur- und Städtereisen, Badeferien, Naturreisen, Single- oder Familienferien, Aktiv- oder Wellnessferien. Gerade Berufstätige haben dabei meist einen klaren Fokus: eine möglichst langanhaltende und intensive Erholung.
Erholung – Gegenspieler der Belastung
Wir brauchen Erholung und das in regelmässigen Abständen, weiss Norbert Semmer, emeritierter Professor für Arbeits- und Gesundheitspsychologie: «Belastung, Anforderung und Anstrengung sind per se etwas Gutes», so Semmer. Sie mache uns kreativ, aufmerksam und leistungsfähiger. Doch wenn wir zu viel Belastung aufstauen, stellt sich Müdigkeit als Schutzmechanismus ein.
Wenn wir zu viel Belastung aufstauen, stellt sich Müdigkeit als Schutzmechanismus ein.
Norbert Semmer beschäftigte sich viele Jahre lang mit den Auswirkungen von Belastung und Stress. Im Zusammenhang mit der Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» verfasste er 2011 ein Gutachten, in dem er die Wechselwirkung von Belastung und Erholung beschrieb. Darin machte er deutlich: Kleine Pausen im Alltag und vor allem längere Erholungsphasen innerhalb von Monaten oder einem Jahr bringen den Stresslevel wieder ins Lot.
«Menschen, die ein Jahr oder länger auf Ferien verzichtet haben, schaden nachweislich ihrer Gesundheit», erklärt Semmer. Ohne Ferien steigt das Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Das Immunsystem wird auf Dauer geschwächt und wir werden krankheitsanfälliger, belegen verschiedene Studien. Auch Fehlerquoten sowie Verletzungs- und Unfallrisiko nehmen zu. «Unsere Leistungsfähigkeit wird peu à peu geschwächt», sagt der Psychologe. Doch es kommt noch ärger.
Ferien sind Balsam für die Psyche
«Auch unsere Sinne verkümmern in der heutigen, digitalen Welt», sagt Martina Zschocke. Sie ist Professorin für Freizeitpsychologie und Freizeitsoziologie an der Hochschule Zittau/Görlitz in Deutschland. Bei ihrer Arbeit geht sie der Frage nach, welche psychischen Effekte Reisen hat.
«Viele Menschen können im Alltag gar nicht mehr abschalten», stellt sie immer wieder fest. Gefangen im immer gleichen Umfeld; fokussiert fast ausschliesslich auf den Sehsinn.
Neue Reize seien deshalb entscheidend für die Erholung. Je grösser der Kontrast zum normalen Arbeits- und Alltagsleben, desto grösser der Effekt der Erholung. Denn ein Tapetenwechsel schafft Distanz zum Alltag. «In Mexiko spüren Sie eine andere Luftfeuchtigkeit auf der Haut, die Füsse tasten durch Sand, fremde Musik erfreut die Ohren und exotische Speisen beleben den Geruchssinn», erläutert Martina Zschocke. All diese Eindrücke helfen, vom Alltagsstress abzuschalten, sind also förderlich für die Erholung.
Ferien haben einen antidepressiven Effekt.
Von «Ums-Huus-ume»-Ferien rät die Freizeitpsychologin deshalb stark ab. Allerdings brauche es nicht zwingend eine Fernreise, um neue Reize zu erleben.
Ferien hätten gar einen antidepressiven Effekt, so die Psychologin: «Bei Menschen mit einer Verstimmung oder leichten Depression lösen Ferien positive Emotionen aus.» Wer reist, orientiert sich automatisch nach aussen und wird aktiver. Die Gedanken, die um einem selbst kreisen, treten in den Hintergrund. Und das habe positive Effekte auf die Psyche.
Qualität maximiert Ferienerholung
Wie gross der Erholungs-Effekt unserer Ferien schliesslich ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie wir unsere Ferien gestalten ist eine Frage der eigenen Persönlichkeit. Ob Kultur- und Städtereisen, Badeferien, Naturreisen, Single- oder Familienferien, Aktiv- oder Wellnessferien – keine Ferienart hat die Nase bezüglich Erholungs-Effekt vorne.
Trotzdem gibt es Aspekte, die von einer Mehrheit der Reisenden als besonders positiv empfunden werden. «Abwechslungsreiche Ferien werden von Reisenden als gelungen und erholsam beschrieben», weiss Martina Zschocke aus Befragungen. Ein Mix etwa aus Städtetrip und Meer oder aus Bergwandern und Wellness.
Arbeitspsychologe Norbert Semmer bestätigt: Erholung sei nicht mit Inaktivität gleichzusetzen. Man sollte auf die richtige Balance zwischen körperlich und geistig aktiven Momenten und Ruhephasen achten.
Und für alle Ferienreisenden gilt: Ferien sollen Freude bereiten und Spass machen! Wer selbst entscheiden kann, wohin es geht und was dort unternommen wird, erholt sich besser.
Länger heisst nicht erholsamer
Noch ein weiterer Aspekt beeinflusst, wie gut wir uns erholen: die Zeit. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der grösste Erholungs-Effekt bereits in den ersten Ferientagen eintritt und sich nach einer Woche kaum noch steigert.
Dagegen befindet sich der Erholungswert bereits zwei bis drei Wochen nach den Ferien wieder auf dem Stand von vor den Ferien. Die ernüchternde Erkenntnis lautet: Erholung lässt sich nicht speichern. «Früher hiess es immer, je länger die Ferien sind, desto besser für die Erholung», sagt Martina Zschocke. Heute empfehlen Psychologinnen und Psychologen eher mehrere kürzere Auszeiten vom Alltag. In der Summe lässt sich so übers Jahr hinweg mehr Erholung kumulieren.
Arbeitspsychologe Norbert Semmer sieht noch einen weiteren Vorteil bei Kurztrips: «Ein paar Tage kann wohl jedes Geschäft auf seine Angestellten verzichten.» Und es plagt einen kein schlechtes Gewissen, wenn der Geschäfts-Computer zuhause bleibt und das Handy auch mal länger offline ist. «Verlängerte Wochenenden haben es mir immer viel einfacher gemacht, zu verreisen und dabei auch richtig abzuschalten.»