Jede Person verfügt nur über eine bestimmte Portion an Willenskraft. Ist sie aufgebraucht, ist es mit der Selbstkontrolle auch schon vorbei. So lautete der Tenor in der Forschung der letzten 15 Jahre zu diesem Thema, und diesem Grundsatz entspricht auch das allgemeine Denkmuster.
Zu neuen Erkenntnissen gelangt nun Veronika Job, Psychologin an der Universität Zürich. Zusammen mit Kollegen der Stanford University publizierte sie in der Zeitschrift «Psychological Science» Untersuchungen, die zeigen, dass eine entscheidende Rolle spielt, was Menschen über ihre eigene Willenskraft denken – und dieses Denken kann beeinflusst werden.
Viviane Bühr: Woran liegt es, dass Neujahrsvorsätze scheitern?
Dr. phil. Veronika Job: Vorsätze werden meist einem anspruchsvollen Leben obenauf gesetzt. Wer von Arbeit und Familie beansprucht wird, hat wenig Energie, sich auch noch um gute Vorsätze zu kümmern – so funktioniert zumindest das vorherrschende Denkmuster.
In Wahrheit ist die Willenskraft aber weniger limitiert, als häufig angenommen wird. Solange man über die biologischen Ressourcen verfügt, sprich beispielsweise nicht zu müde ist, kann man auch mehrere anspruchsvolle Vorhaben anpacken und durchziehen.
Wodurch wird der Wille geschwächt?
Gemäss unserer Forschung kann der Wille durch das eigene Denken geschwächt werden. Zum Beispiel durch das Arbeit-Belohnung-Denken: «Wenn ich dieses oder jenes erledigt habe, muss ich mich ausruhen oder etwas essen, um wieder Energie zu tanken.» Dieses Denken ist in unserer Kultur sehr verbreitet. Doch eigentlich müsste man sich gar nicht so häufig erholen.
Es kommt also nur darauf an, wie man über die Willenskraft denkt?
Prinzipiell ja. Es kommt auf die eigene Einstellung an. Wir nehmen an, dass sich viele Menschen permanent unterschätzen und weit unter ihren biologischen Grenzen abbrechen. Bei jeder Anstrengung denken sie schon an die nächste Pause.
Welche Vorsätze versprechen am ehesten Erfolg?
Es ist wichtig, dass man Vorsätze möglichst konkretisiert und mit realen Situationen verbindet. Beispielsweise kann man sich vornehmen, jeden Mittwochabend um eine bestimmte Uhrzeit die Sporttasche zu packen und ins Fitnesscenter zu gehen. Dieser Vorsatz funktioniert besser als der generelle Gedanke: «Ich möchte nächstes Jahr mehr Sport machen». Natürlich sollten die Ziele auch realistisch sein.
Die eigenen Gewohnheiten zu ändern ist etwas vom Schwierigsten...
Das stimmt. Hierauf wird sich unsere künftige Forschung konzentrieren: Wir möchten herausfinden, wie sich die Einstellung über eine unlimitierte Willenskraft fördern und nachhaltig verankern lässt. Unsere Experimente haben gezeigt, dass man sich relativ leicht in die eine oder andere Richtlung lenken lässt, ob man etwas anpackt oder nicht. Vermutlich hat man beide Optionen bereits durch vergangene Erlebnisse verfügbar.
Wie wendet man die Erkenntnisse ihrer Studien praktisch an?
Erstens muss man etwas wirklich wollen. Dann hilft es, sich bewusst zu machen, dass man die Situation mit dem Willen ändern kann. Gerade in Situationen, in denen man besonders belastet ist und zum Abbruch neigt, können beispielsweise an die Wand gepinnte Sätze helfen. Auch ein Erfolgserlebnis hat einen Einfluss. Wer etwas wiederholt schafft, programmiert sich quasi selbst um. Wird der Wille erst einmal eingesetzt, so kann er immer wieder zur Bewältigung von neuen Herausforderungen anregen.
Die Experimente
Im ersten Experiment gaben die Studienteilnehmer in einem Fragebogen ihre Einstellung zur Willenskraft an. Dazu bewerteten sie Aussagen wie «Nach einer anstrengenden mentalen Tätigkeit ist meine Energie erschöpft und ich muss mich erholen, um sie wieder aufzutanken.».
Anschliessend hatten sie eine Reihe von Aufgaben zu lösen, die Selbstkontrolle erfordern. Beispielsweise mussten sie in einem Text den Buchstaben «e» durchstreichen. Oder es galt, die Farbe von Wörtern zu benennen, wobei die Bedeutung des Wortes häufig nicht mit der Farbe der Schrift übereinstimmte (z.B. war das Wort «rot» in grüner Farbe geschrieben).
Das Experiment zeigte, dass ausschliesslich jene Personen schlechter abschnitten, die glauben, dass Willenskraft durch ihren Einsatz verbraucht wird, dass sie durch Anstrengung weniger wird. Personen hingegen, die davon überzeugt sind, dass Willenskraft nicht verbraucht wird, zeigten keine Leistungseinbussen.
Zu mehr Willen «manipuliert»
In zwei weiteren Experimenten wurde diese Versuchsanordnung wiederholt. Jedoch wurde den Teilnehmern suggeriert, sie hätten die eine oder andere Einstellung (Willenskraft ist limitiert versus nicht limitiert). Auch hier zeigte sich, dass bei den aufeinanderfolgenden Selbstkontrollaufgaben nur jene Personen schlechtere Leistungen erbrachten, die dahingehend beeinflusst wurden, zu glauben, dass Willenskraft eine limitierte Ressource ist.
In einer letzten Studie wurde die Bedeutung der Willenskraft für das alltägliche Leben von Studierenden untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Glaube, Willenskraft sei keine limitierte Ressource, Studierenden in besonders stressreichen Zeiten – beispielsweise in der Woche der Abschlussprüfungen – half, ihre Selbstkontrolle aufrecht zu erhalten, beim Lernen durchzuhalten und gesund zu essen.