Brände mit vielen Verletzten, Massenkarambolagen auf der Autobahn, Flugzeugabstürze, Bahnunfälle in Tunnels – alltäglich ist das für die Rettungssanitäter in der Schweiz nicht. Und doch: Fährt ein Sanitäts-Team nach einem Notruf los, weiss es nie genau, was es am Ziel erwartet.
Es kann durchaus ein sogenanntes «Grossereignis» sein. Da ist es nicht mehr damit getan, jemanden zu stabilisieren und möglichst schnell in ein Spital zu bringen.
An die ersten Helfer vor Ort werden dann ganz andere Anforderungen gestellt. «Das ist zuerst die totale Überforderung», erinnert sich Sandra Mettler vom Rettungsdienst Winterthur an ihren ersten Grosseinsatz. «Nur schon das Bild, das sich einem da präsentiert. All die Verletzten – wie gehe ich mit so vielen Verletzten um?»
Sandra Mettler nimmt an einem Kurs der Vereinigung der Rettungsdienste BBZZ teil. Dieser Kurs soll Rettungsprofis aus der ganzen Schweiz auf solche Situationen vorbereiten. Es gilt, eine ungewohnte Rolle einzunehmen.
«Bei einem Normalereignis, etwa dem Herzinfarkt einer einzelnen Person, steht die medizinische Betreuung im Vordergrund», erklärt Kursleiter Frank Zbinden. «Bei einem Grossereignis mit vielen Beteiligten ist man in einer ganz anderen Situation.» Nun ist Organisation gefragt, Koordination, Führung.
Was das bedeutet, wird den Kursteilnehmern nicht nur theoretisch vermittelt. Sie erleben es auch bei Planspielen in Echtzeit, im Schulungsraum und an realistischen Schauplätzen. In jeder Simulation übernimmt jemand anderes die Einsatzleitung.
Ein Haus brennt. Feuerwehr und Polizei sind bereits vor Ort. Das erste Sanitätsteam trifft ein. Was nun? Das zweiköpfige Kursteam versucht, sich einen Überblick zu verschaffen und der chaotischen Situation Herr zu werden.
Erste Meldungen zu Verletzten und Vermissten gehen ein. Da schreien Leute im Haus! Braucht es Verstärkung? Wie viel? Welche? Wie kommen die Rettungsfahrzeuge zum Brandort? Wo sollen die alarmierten Helikopter landen? Wo hat es Platz für eine Patientensammelstelle? Und da ist schon wieder jemand Neues, der auf Anweisungen wartet...
Nach dreissig Minuten wird die Simulation abgebrochen. Durchatmen. Übungsbesprechung. Start des nächsten Planspiels.
So unterschiedlich die Szenarien sind, das Ziel ist stets dasselbe: Den Ort des Geschehens so zu organisieren, dass die Patienten bestmöglich versorgt werden können.
Auf gewisse Momente kann einen aber selbst der beste Kurs nicht vorbereiten. Einen solchen hat Reto Dietrich von der Sanitätspolizei Bern bei seinem ersten Grosseinsatz erlebt.
Man sieht die Schwerverletzten, will ihnen helfen, muss sie aber liegen lassen und sich erst einen Überblick verschaffen. So etwas lässt sich nicht in Kursen simulieren.
Während einer ganz normalen Verlegungsfahrt nach Nottwil bemerkte er eine Massenkarambolage auf der Gegenspur der Autobahn. «Wir haben an der nächsten Ausfahrt umgekehrt und waren als erste vor Ort. Da waren acht Fahrzeuge ineinander verkeilt. Leute waren eingeklemmt, einige schwer verletzt. Die Verunfallten sahen uns kommen und hofften natürlich auf Hilfe.»
Die konnte Dietrich aber nicht leisten. «Man sieht die Schwerverletzten, will ihnen helfen, muss sie aber liegen lassen und sich erst einen Überblick verschaffen. So etwas lässt sich nicht in Kursen simulieren.»