Manche inneren Uhren ticken anders. Schneller. Biologisch tragen wir oft unterschiedliche Alter in uns. Erstaunlich häufig ist ein Organ biologisch älter als die anderen. Es läuft der chronologischen Zeit, also den tatsächlich gelebten Jahren, davon.
20 Prozent der über 50-Jährigen tragen ein vorgealtertes Organ in sich. Fast zwei Prozent sogar zwei Organe, die schneller altern. «Das war für uns sehr überraschend», sagt Tony Wyss-Coray, Altersforscher an der Stanford Universität Kalifornien. Er hat mit seinem Team insgesamt 5600 Probanden untersucht beziehungsweise elf ihrer Organe und Organsysteme: Herz, Fett, Lunge, Immunsystem, Nieren, Leber, Muskeln, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Arterien und Darm. Die untersuchten Personen hatten keine Krankheitssymptome. Trotzdem fanden die Forschenden unerwartet tiefe Spuren des Alterns.
Die Spuren des Alters im Blut
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Blutproben ihrer Versuchspersonen analysiert, sich fünfzehn Jahre später deren Gesundheitszustand angeschaut und gesehen: Wer ein schnell alterndes Organ hat, dessen Sterberisiko ist deutlich erhöht – je nach Organ zwischen 15 und 50 Prozent.
Mithilfe künstlicher Intelligenz haben die Forschenden 5000 Proteine im Blut auf ihre Herkunft getestet. Rund 850 Proteine liessen sich einem bestimmten Organ zuordnen. Alte Organe verraten sich dadurch, dass sie entweder viel mehr oder deutlich weniger dieser Proteine bilden als üblich.
Menschen mit einem «alten» Herzen etwa haben ein zweieinhalbmal grösseres Risiko, ein Herzversagen zu erleiden als Menschen mit einem Herzen, das im normalen Takt altert. Wer ein vorgealtertes Gehirn hat, hat ein fast doppelt so hohes Risiko innerhalb der kommenden fünf Jahre geistig abzubauen. Menschen mit zwei gealterten Organen haben ein sechseinhalb-faches Sterberisiko.
Dank Früherkennung rechtzeitig eingreifen
Würde man vorgealterte Organe frühzeitig erkennen – noch bevor sich Symptome zeigen – dann könnten Forschende gezielter neue Therapien entwickeln und die Betroffenen ihren Lebensstil an ihr Risiko anpassen. Altersmedizinerinnen und Forscherinnen, wie Heike Bischoff-Ferrari, vom Universitätsspital und der Universität Zürich setzen grosse Hoffnung in diese Früherkennung. Den Bluttest aus Stanford werde sie sicher einsetzen, wenn er reif sei für die Klinik.
Mit den heutigen Messmethoden lassen sich Organveränderungen erst messen, wenn sich ein Organ bereits wesentlich verändert hat. «Dieser Test würde uns ermöglichen, den Alterungsprozess einzelner Organe zu messen, bevor irreversible Schäden auftreten.» Frühzeitige Therapien und Lebensstiländerungen könnten den Prozess stoppen, bevor sich Krankheiten entwickeln.
Ansteckende Jugend
Der Test aus Kalifornien braucht noch weitere Studien, die seine Tauglichkeit und Treffsicherheit bestätigen. Tony-Wyss-Coray ist überzeugt: Das ist erst der Anfang. Dieser Ansatz der Altersforschung stecke noch in den Kinderschuhen.
Aber die Hoffnungen sind bereits heute gross. So hat Wyss-Corays Team herausgefunden: Es gibt nicht nur Menschen mit vorgealterten Organen, sondern auch solche mit sehr jungen Organen. Diese Organe haben einen positiven Effekt auf ihre Umgebung. Ihre Jugend ist sozusagen ansteckend. Der Alterungsprozess liesse sich dereinst also vielleicht nicht nur stoppen, sondern sogar umkehren.