Wer seiner Gesundheit etwas Gutes tun will, soll Sport treiben. Allerdings kommt es manchmal ausgerechnet während dem Sport zum Herzinfarkt. Wer etwa denkt, mit einem Marathonlauf etwas zur Gesundheit beizutragen, liegt unter Umständen falsch. Denn ein solcher Lauf ist eine Extrembelastung für den Körper, und kann in manchen Fällen sogar gefährlich sein. Sport-Kardiologe Matthias Wilhelm weiss weshalb.
SRF News: Hat man unter sportlicher Belastung ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt?
Matthias Wilhelm: Glücklicherweise sind Herzinfarkte während dem Sport Einzelfälle. Doch man kann ganz klar sagen, dass man während einer sportlichen Aktivität ein höheres Risiko hat, einen Herzinfarkt zu bekommen. Das gilt besonders für Personen, die eigentlich unsportlich sind und plötzlich intensiv trainieren. Dann ist das Risiko fast um den Faktor 100 erhöht. Doch Personen die regelmässig körperlich aktiv sind, haben ein niedrigeres Risiko - aber höchstens um den Faktor zwei oder drei.
Was ist der Grund dafür?
Durch die sportliche Belastung erhöhen sich Herzfrequenz und Blutdruck. Dadurch sind die Blutgefässe gewissen Scherkräften ausgesetzt. Diese können dazu führen, dass sie einreissen und durch Blutgerinnsel verstopfen. Wer sich aber regelmässig aktiv bewegt, stabilisiert die Gefässe langfristig. Deshalb kann regelmässiges Training das Risiko für einen Herzinfarkt senken.
Sport ist ein gutes Mittel gegen Übergewicht, es reduziert die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken, es kontrolliert den Blutdruck und die Blutfette.
Ist Sport also gar nicht so gesund wie gedacht?
Doch, er hat nachgewiesenermassen einen günstigen Einfluss auf die Risiko-Faktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das heisst, Sport ist ein gutes Mittel gegen Übergewicht, es reduziert die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken, es kontrolliert den Blutdruck und die Blutfette.
Übermässig häufiges Training kann eine unspezifische Entzündungsreaktion im Körper begünstigen.
Doch: Gemäss einer erst kürzlich veröffentlichten Studie haben Sportler verkalktere Gefässe als Nichtsportler.
Ja, das ist richtig. Gilt aber für sehr ambitionierte Sportler, die sehr, sehr viel trainieren. Das sind insbesondere Ausdauersportler – wie Marathonläufer oder Triathleten. Das Problem: Übermässig häufiges Training kann eine unspezifische Entzündungsreaktion im Körper begünstigen. Diese kann auch Herzkranz-Gefässe betreffen, die mit Kalkablagerungen reagieren.
Wenn man diese Verkalkungen oder Ablagerungen in den Herzkranzgefässen genauer betrachtet, sieht man, dass diese Ablagerungen anders aufgebaut sind als bei Nichtsportlern. Sie reissen weniger leicht ein. Unter dem Strich hat ein Sportler mit stabilen Ablagerungen kein höheres Herzinfarktrisiko.
Gibt es Anzeichen vor einem Herzinfarkt?
Es muss nicht sein, dass man eine Herzerkrankung vorgängig bemerkt. Wenn die Ablagerungen in den Herzkranzgefässen nicht sehr ausgeprägt sind, dann ist der Blutfluss immer noch ausreichend und man hat keine Beschwerden.
Nur etwa 30 Prozent der Personen, die beim Sport einen Herzinfarkt erleiden, hatten zuvor Symptome.
Aber auch solche nicht-relevanten Ablagerungen können unter gewissen Umständen dazu führen, dass Gefässe einreissen und zu einem akuten Herzinfarkt führen. In diesem Fall bemerkt man erst beim Infarkt selber, dass etwas nicht stimmt. Nur etwa 30 Prozent der Personen, die beim Sport einen Herzinfarkt erleiden, hatten zuvor Symptome.
Gibt denn ein Belastungs-EKG vorgängig einen Hinweis auf eine Herz-Kreislauf-Erkrankung?
Ein solcher Belastungstest hat eine gute Aussagekraft, wenn die Herzkranzgefässe relevant verengt sind. In dieser Situation ist der Körper während der Belastung mit Sauerstoff unterversorgt. Das ist mit einem Belastungs-Test in der Regel sehr gut detektierbar. Nur: Wenn die Ablagerungen den Blutfluss nicht sonderlich beeinträchtigen, ist auch mit einem Belastungs-EKG nichts zu erkennen – obwohl der Betroffene herzinfarkt-gefährdet ist.
Dies war bei einem Marathon-Sportler der Fall, den «Puls» begleitet hat. Eigentlich wollte das Gesundheitsmagazin über seine Marathon-Vorbereitungen berichten, doch dann hatte er plötzlich einen Herzinfarkt:
Insgesamt wird die Aussagekraft eines Belastungs-EKGs zum Nachweis einer koronaren Herzerkrankung sowieso überschätzt und kontrovers diskutiert. Der Test ist zwar breit verfügbar und kostengünstig, doch der Nachteil ist, dass er gewisse Risiko-Patienten nicht erkennt. Heute gibt es mit dem sogenannten Cardio-CT eine genauere Methode. Zukünftig wird man solche Risikopatienten besser identifizieren können.
Generell sagt man, dass man ein Belastungs-EKG machen soll, wenn man über 50 Jahre alt ist und neu in einen intensiven Sport einsteigen möchte. Empfehlen Sie das auch?
Die Erwartungshaltung an das Belastungs-EKG ist sicherlich etwas übertrieben. Ich denke, es sind andere Faktoren wichtig: Wenn man über 50 neu mit intensivem Sport starten möchte, sollte das mit dem Hausarzt besprechen.
Wer neu in den Sport einsteigen möchte, kann das eigentlich gut machen – und zwar in allen Intensitäten.
Liegen in der Familie Herzerkrankungen vor, könnte auch bei der betroffenen Person ein erhöhtes Risiko vorliegen. Raucht er zusätzlich und hat er einen erhöhten Blutdruck, Blutzucker oder hohe Blutfette, sollte man über eine weiterführende Untersuchung nachdenken. Wer neu in den Sport einsteigen möchte, kann das eigentlich gut machen – und zwar in allen Intensitäten. Hat jemand etwa das Ziel, an einem Marathon oder Halbmarathon teilzunehmen, ist das möglich. Nur sollte man vorsichtig beginnen, sich realistische Ziele stecken und nicht zu ambitioniert in ein solches Vorhaben einsteigen.
Was ist die ideale Menge an Sport, wenn ich etwas für mein Herzkreislauf-System machen möchte?
Eine positive Nachricht für alle, die nicht so gerne viel Sport treiben: Man weiss, dass man bereits mit wenig körperlicher Aktivität – 30 Minuten pro Tag – einen sehr grossen Benefit für das Herzkreislauf-System erreichen kann. Und es gibt Studien mit Joggern aus Kopenhagen die gezeigt haben, dass diejenigen, die langsam joggen, die niedrigste Sterblichkeit aufweisen. Deshalb empfehle ich für einen gesundheitlichen Effekt niedrig bis moderat intensives Training. 150 Minuten pro Woche.
Das reicht natürlich nicht aus, wenn man sportliche Erfolge haben möchte. Dafür kann man sicherlich mehr und intensiver Sport treiben. Aber: Man sollte sich bewusst sein, dass man damit keinen relevanten gesundheitlichen Zusatznutzen mehr hat.
Das Gespräch führte Jacqueline Schwerzman