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Selbstheilung: Verpasste Chance oder gefährlicher Irrweg?
Aus Puls vom 03.06.2019.
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Hoffnungsträger Selbstheilung Was taugt der innere Arzt?

Eigene Kräfte aktivieren statt Medizin schlucken? Vom sanften Weg versprechen sich viele viel – manchmal zu viel.

Schnittwunden, Infektionen, Verbrennungen, Knochenbrüche: Was der menschliche Körper aus eigener Kraft wieder in Ordnung bringt, ist erstaunlich. Und die Wirkung, die der schiere Glaube einem eigentlich nutzlosen Placebo verleiht, weckt Erwartungen. Was wohl alles möglich ist, wenn unsere Selbstheilungskräfte erst voll geweckt sind?

Immerhin: Selbst Krebs kann der Körper im Alleingang besiegen. Zwar nur höchst selten, aber doch immer wieder.

Der Onkologe Herbert Kappauf erforschte Selbstheilungen bei Krebs intensiv und betreute selber solche Patienten. Fasziniert vom Thema, bildete er sich zusätzlich in Psychosomatik aus – einem Gebiet, das Psyche und Körper als Einheit betrachtet.

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«Es ist wichtig zu differenzieren zwischen Fällen, wo Selbstheilung häufig und alltäglich ist und Fällen, wo sie selten oder nie vorkommt. Es ist gefährlich, Patienten da Illusionen zu machen.»
Aus Puls vom 03.06.2019.
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Kappauf glaubt an die Kraft, die der Kombination aus Körper und Geist innewohnt. Er mahnt aber zu nüchterner Betrachtung und warnt vor falschen Hoffnungen: «Selbstheilung ist bei manchen Erkrankungen extrem selten oder nie passiert. Es ist gefährlich, Patienten Illusionen zu machen – deren Risiko die Patienten alleine zu tragen haben.»

Der Hang zur einfachen Lösung

Immer wieder berichten Medien über spektakuläre Selbstheilungen. Aktuelles Beispiel: der Dokumentarfilm «Heal», der Menschen porträtiert, die erfolgreich ihre Selbstheilungskräfte bei Krebs aktiviert haben.

Je mehr Angst im Spiel ist, desto einfacher müssen die Lösungen sein. Denn in einer Angstsituation fällt es schwer, komplex zu denken – oder komplexe Lösungen zu akzeptieren.
Autor: Herbert Kappauf

Gezeigt wird auch eine Liste: Neun einfache Massnahmen mit grossem Einfluss auf Krebs-Heilungen. Zum Beispiel der Aufbau positiver Emotionen und spiritueller Verbindungen. Die klassische Medizin wird dagegen nicht sehr positiv eingestuft.

«In bedrohlichen Situationen, wenn ich Angst habe, bin ich sehr dankbar für Wege, die eine hohe Wirksamkeit versprechen», erklärt Psychosomatiker Kappauf das Denkmuster dahinter. «Je mehr Angst im Spiel ist, desto einfacher müssen die Lösungen sein. Denn in einer Angstsituation fällt es schwer, komplex zu denken – oder komplexe Lösungen zu akzeptieren.»

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Herbert Kappauf versteht die menschliche Neigung zu einfachen Lösungen: «In bedrohlichen Situationen sind wir sehr empfänglich für Wege, die eine hohe Wirksamkeit versprechen. Und je mehr Angst im Spiel ist, desto einfacher müssen diese Lösungen sein.»
Aus Puls vom 03.06.2019.
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Was also darf man sich von der Selbstheilung versprechen?

Sich selber nicht als Opfer sehen

In der onkologischen Praxis von Christa Baumann im Lindenhofspital Bern setzt man bewusst auf die Selbstheilungskräfte der Patienten. Was sich zum Beispiel darin ausdrückt, dass ihnen nach der Diagnose eine Sprechstunde angeboten wird, bei der die Ärztin aus ihrer Expertenrolle schlüpft und die Patienten in die Ärzteperspektive versetzt werden: Man tauscht die Plätze.

«Wir wollen markieren, dass sie nicht einfach Patienten und ‹Opfer› sind, sondern die handelnde Person», erklärt Onkologin Baumann. Das löse positive Kräfte aus und fördere die Kompetenz der Patienten.

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«Wir wollen markieren dass der Patient nicht einfach Patient und ‹Opfer› ist, sondern dass er der Handelnde ist, dass der Arzt einmal zurück steht. Das löst Selbstheilungskräfte aus das fördert die Kompetenz des Patienten.»
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Renate Schulthess ist bei Christa Baumann seit gut einem Jahr in Behandlung. Diagnose: Brustkrebs. Aktuell ist sie noch in der Immuntherapie, ihr Rückfallrisiko sehr klein.

Starke Bilder zur Stärkung der Psyche

Auf dem Weg zur Heilung sollen Baumanns Patienten selber Bilder entwickeln, die ihnen Kraft geben. Renate Schulthess entschied sich für Tiere als Gedankenstützen.

Durch die gefürchtete Chemotherapie halfen ihr ein Elefant mit seiner dicken Haut und ein Löwe, der sie vor den Nebenwirkungen beschützte: «Mit dem Leu in der Hand habe ich die Leukozyten heraufbeschworen, damit sie für die nächste Chemo bereit sind und ich keine Infekte bekomme.»

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Renate Schulthess wählte einen Löwen als Symbol im Kampf gegen Nebenwirkungen der Chemotherapie: «Ich habe den Leu in die Hand genommen und habe mit seiner Hilfe meine Leukozyten heraufgetrieben.»
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Damit sie die Chemotherapie überhaupt akzeptieren konnte, ging Renate Schulthess noch einen Schritt weiter. An ihrem Lieblingsfluss, der Sense, suchte sie nach etwas, das tiefer ging. Dabei berührte sie das Bild des fliessenden Wassers besonders, wie es die Steine umspülte: «Von da an konnte ich mir das gut vorstellen, wie die Chemo als klares Wasser in mich hineinfliesst und den Tumor Zelle für Zelle abschleift. Die schlechten Zellen rausspült und die guten sein lässt.»

Ob dies einen messbaren Einfluss auf Erfolg und Prognose der Behandlung gehabt habe oder nicht: «Es hat auf jeden Fall meine Lebensqualität verbessert.»

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Renate Schulthess erzählt, wie ihr Lieblingsfluss ihr dabei geholfen hat, die Chemotherapie überhaupt akzeptieren zu können.
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Dass sich die Lebensqualität selber aktiv beeinflussen lässt, bejaht auch Herbert Kappauf. «Es gibt viele Studien die zeigen, dass eine Einstellung, auch Optimismus, dazu führen, dass man besser mit der Krankheit lebt.» Auf den Ausgang des Heilungsprozesses habe das aber keinen nachweislichen Einfluss.

Wer glaubt, dass positives Denken eine Krankheit ohne Medizin und Ärzte verschwinden lässt, lügt sich nur selber in die Tasche.
Autor: Herbert Kappauf

Kappauf warnt denn auch ausdrücklich vor Allmachtsfantasien: «Wer glaubt, dass positives Denken eine Krankheit ohne Medizin und Ärzte verschwinden lässt, lügt sich nur selber in die Tasche.»

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Hat positives Denken Einfluss auf die Prognose einer Behandlung? Herbert Kappauf warnt vor verlockenden Allmachtsfantasien.
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Eine schmerzliche Erkenntnis, die auch Radiomoderator Robin Rehmann machen musste.

Mit seiner Darmkrankheit Colitis Ulcerosa setzt er sich schonungslos und offen auseinander und thematisiert das massiv eingeschränkte Leben mit dem chronischen Leiden in emotionalen Videoblogs. Sieben Jahre lang versuchte er, das Problem mit allen Mitteln selber zu lösen.

Alles, nur nicht operieren

«Meine Ärzte haben recht schnell empfohlen, den kompletten Dickdarm zu entfernen», erinnert sich Rehmann. «Auf der Suche nach Alternativen bin ich dann aber schnell auf ‹Experten› gestossen, die heftig von diesem Eingriff abrieten. Das sei das doch Schlimmste, was man tun könne – die Ärzte hätten alle keine Ahnung!»

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«Als ich nach Alternativen zur Dickdarmentfernung suchte, wurden mir sehr schnell ganz viele angeboten. Da waren Leute derart überzeugt von ihrer Theorie, dass mich das auch in den Bann gezogen hat und ich wirklich verrückte Sachen gemacht habe.»
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Robin Rehmann liess sich in der Folge auf jede auch nur ansatzweise erfolgversprechend erscheinende Behandlung ein: von der Neujustierung des eigenen Magnetfelds über Hypnose bis hin zu allen möglichen Nahrungsergänzungsmitteln. Immer in der Hoffnung, dem chronischen Leiden aus eigener Kraft Herr zu werden.

Sieben Jahre Kampf umsonst

Doch Heilung gab es nicht. Im Gegenteil: Es wurde immer schlimmer.

Bis Robin Rehmann vor wenigen Monaten genug hatte. Aufgab. Sich für die grosse Operation entschied, bei der er den Dickdarm verlieren und dafür einen künstlichen Darmausgang erhalten würde. «Wenn ich ehrlich bin, war es ein Fehler, dass ich so lange probiert habe, die Krankheit anders zu heilen, als es mein Arzt und mein Chirurg gesagt haben.»

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Robin Rehmann zieht nach sieben Jahren eine ernüchternde Bilanz: «Wenn ich ehrlich bin, war es ein Fehler, dass ich so lange probiert habe, die Krankheit anders zu heilen, als es mein Arzt und mein Chirurge gesagt haben.»
Aus Puls vom 03.06.2019.
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Dass es bei all der Energie und Hoffnung, die er investiert hat, am Ende nicht geklappt hat, ist eine riesige Enttäuschung. Und als wäre Rehmann damit nicht schon genug bestraft: Immer wieder wird er für sein Scheitern auch noch selber verantwortlich gemacht. «Unter meinen Youtube-Videos habe ich jede Menge Kommentare, was ich alles falsch gemacht habe und weshalb ich nicht geheilt bin.» Dabei hat er ja tatsächlich alles ausprobiert.

Was er den Kommentarschreibern auch immer wieder klarzumachen versucht. Aber Menschen, die derart von ihren Theorien überzeugt sind, lassen einfach nicht locker. «‹Probier dies!›, ‹Probier das!›, ‹Glaub jenes, dann wird alles gut!›», seufzt Robin Rehmann. «Das ist ein Riesenfrust. Weil man sich ja nichts sehnlicher wünscht, als dass es funktionieren würde. Und dann fühlt man sich jedesmal als Versager.»

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«Für mich als Youtuber ist das ein Riesenstress. Ich habe unter jedem Video eine Riesenmenge Kommentare, was ich alles falsch mache und wieso ich nicht geheilt bin.»
Aus Puls vom 03.06.2019.
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