Am Universitätsspital Basel forscht der Biomediziner Ivan Martin seit längerem mit Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand. Sein Ziel ist: Aus Nasenknorpel Ersatzgewebe herzustellen, um damit Knorpeldefekte – etwa am Knie – zu behandeln.
Nun hat Martins Gruppe erfolgreich einen neuen Ansatz erprobt: Knorpelzellen aus den Stammzellen des Knochenmarks zu generieren.
Eine Herausforderung
Wissenschafter versuchen dies seit Jahrzehnten und sind immer wieder gescheitert. Denn das Verfahren hat einen Knackpunkt: «Die Zellen bleiben nicht stabile Knorpelzellen, sondern sie entwickeln sich weiter zu Knochenzellen», sagt Ivan Martin.
Selbst wenn man die Stammzellen im Labor anregt, sich zu Knorpel zu differenzieren, reifen sie schliesslich weiter zu Knochengewebe.
Vom Knorpel zum Knochen
Dasselbe passiert in unserem Körper, wenn wir uns den Arm oder einen anderen Knochen brechen: An der Bruchstelle bildet sich aus den Stammzellen des Knochenmarks zunächst eine Schwiele aus Knorpel.
«Dieses Knorpelgewebe wird langsam remodelliert und zu Knochen umgebaut. Das ist notwendig für die Heilung einer Fraktur», so Ivan Martin.
Die Entwicklung von Knorpel zu Knochen scheint also unaufhaltsam. Doch: Lassen sich Stammzellen im Knochenmark sozusagen «überzeugen», auf dem Weg zur Knochenbildung haltzumachen und Knorpelzellen zu bleiben?
Knorpel soll Knorpel bleiben
Martins Team hat herausgefunden, dass sich dies tatsächlich von aussen steuern lässt, indem der Signalweg eines bestimmten Proteins gehemmt wird.
Zusammen mit dem Novartis Institute for Biomedical Research haben die Forscher einen Wirkstoff entwickelt, der genau das tut: Er blockiert den Signalweg vom Knorpel zum Knochen.
In der Petrischale konnten sie so aus menschlichen Knochenmark-Stammzellen dauerhaftes Knorpelgewebe züchten. Das haben sie Mäusen eingepflanzt – mit Erfolg: «Nach mehreren Wochen konnten wir beweisen, dass der Knorpel stabil bleibt. Das war ein Durchbruch in diesem Gebiet.»
Erneuter Durchbruch
Es ist nicht das erste Mal, dass Ivan Martin mit Knorpel einen Durchbruch feiert. Schon vor Jahren hat er mit seinem Team entdeckt, dass Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand imstande sind, neuen Knorpel zu bilden.
Diese Nasenknorpelzellen sind zwar keine Stammzellen – aber so gut wie. Denn sie haben die Fähigkeit, sich zu entdifferenzieren und wieder zu redifferenzieren. Sie sind also so flexibel, dass man sie in anderes Gewebe einpflanzen kann, und sie sich dort anpassen.
Inzwischen wird diese Erkenntnis aus der Grundlagenforschung bereits klinisch angewandt. Im Rahmen einer aktuellen Studie wird Patienten mit einem Knorpeldefekt am Knie Ersatzgewebe eingepflanzt, das aus der Nasenscheidewand gewonnen wurde. Die vorläufigen Ergebnisse seien vielversprechend.
Wenn also Nasenknorpel im Knie gut funktioniert, warum braucht es noch Knorpel aus dem Knochenmark? «Die neue Erfindung mit diesem Wirkstoff könnte natürlich mit den gezüchteten Geweben kombiniert werden», sagt Ivan Martin.
Eine Spritze gegen Arthrose
Und weiter liesse sich davon träumen, sagt Martin, den neuen Wirkstoff etwa bei Kniearthrose direkt ins Gelenk zu spritzen. Dann nämlich könnte man – theoretisch – darauf verzichten, Gewebe zu züchten.
Man könnte so vorhandenes Gewebe erhalten oder die eigenen Zellen im Knorpel stimulieren, damit sie neuen, guten Knorpel generieren. Eine simple Spritze, die abgenütztes Gewebe wieder neu belebt, könnte dereinst also ausreichen, um Arthrose zu behandeln.
Ivan Martin betont, dass eine solche Aussage völlig verfrüht sei; sie hätten ja erst Grundlagenresultate. Aber wenn man in die Zukunft blicken möchte, wäre das das Ziel, so Martin.