Physiotherapie gegen Knie- oder Rückenschmerzen und andere Beschwerden wird häufig verschrieben. Ohne Eigenmotivation geht es aber nicht: Man muss fleissig trainieren – auch zu Hause. Der Krankenversicherer CSS will mit einer digitalen Innovation Hilfe bieten. Das neue Gadget löst jedoch nicht nur positives Echo aus.
Gemeinsam mit der ETH Zürich und der Universität St. Gallen hat die CSS eine sogenannte Mixed-Reality-Brille entwickelt. Zieht der Patient die Brille über, sieht er in seiner Umgebung einen virtuellen Therapeuten, der die Physio-Übungen vormacht. Ausserdem erscheint ein Avatar, der ihn dabei unterstützen und motivieren soll.
Die Patienten machen die Übungen nicht oder falsch
Für Matthias Heuberger, Leiter des CSS Health Lab, war das Feedback der Physiotherapeuten die Motivation, das Projekt umzusetzen: «Wir haben immer von zwei Problemen gehört: Dass die Patienten die Übungen nicht machen – oder dann falsch.»
Kostspielige Physiotherapien
Was die CSS nicht sagt: Die Physiotherapie-Kosten in der Grundversicherung haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Seit 2010 sind sie von 891 Millionen auf 1400 Millionen Franken gestiegen.
Die Vermutung liegt nahe: Der digitale Physio-Coach könnte ein Mittel zur Kostensenkung und Verkürzung der Therapien sein.
Bei der Krankenkasse will man von einer Kostensenkungs-Strategie jedoch nichts wissen. Der Patient stehe im Zentrum, es gehe darum, ihm ein digitales Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, sagt Matthias Heuberger.
Die Physio-Branche ist alarmiert
Doch was bedeutet dieses digitale Hilfsmittel für die Physiotherapeuten? Werden sie bald durch Brille und Avatar ersetzt?
Pia Fankhauser, selbst Physiotherapeutin und Präsidentin von physioswiss, bezweifelt, dass der Avatar die Übungen richtig anleiten und korrigieren kann: «Schon bei einer Kniebeuge kann man einknicken. Da braucht es den Menschen, der genaue Rückmeldungen gibt», sagt sie. «Bis eine Maschine das kann, warten wir noch ein paar Jahre.»
Ob der virtuelle Coach den Realitätstest besteht, und ob damit Kosten gespart oder zusätzlich verursacht werden, wird sich tatsächlich erst in einigen Jahren zeigen. Denn noch handelt es sich bei der Brille nur um einen Prototypen, der frühestens 2020 Marktreife haben wird.