Schneiden ohne Vollnarkose: Dass selbst grössere Operationen unter Hypnose lediglich mit lokaler Betäubung möglich sind, ist mittlerweile erprobt. Dennoch – Hypnose im Operationssaal ist in den meisten Fällen noch Zukunftsmusik.
Zurückhaltung besteht auf verschiedenen Seiten. Einerseits sind bislang nur wenige Ärzte professionell in Hypnose geschult, andererseits herrschen aber unter Patienten Skepsis und falsche Vorstellungen. Willenlosigkeit und Fremdbestimmung machen vielen Angst, aber zu Unrecht: Der Zustand der Trance geht immer nur so weit, wie es der Patient zulässt.
Das Niveau der Versunkenheit ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. 10 bis 20 Prozent sind schwer oder nicht, genauso viele extrem leicht hypnotisierbar. Die grosse Menge dazwischen spricht auf Hypnose zwar an, in manchen Fällen jedoch erst mit ein wenig Übung.
Mit Menschen, die wie Hühner gackern oder die ihren Namen plötzlich nicht mehr wissen, haben Hypnosetherapeuten nichts zu tun. Für die Therapie ist eine so tiefe Trance gar nicht unbedingt wünschenswert. Effektiver ist ein Zustand, in dem sich die Patienten selbst weiterhin bewusst sind und sich jederzeit mit dem Therapeuten unterhalten können. Dieser versucht dabei, Patienten dazu zu animieren, sich bestimmten inneren Bildern – je nach Ziel der Hypnose – zuzuwenden.
Bei der Hypnose während chirurgischer Eingriffe zum Beispiel sind das positive Bilder, möglicherweise ein Strand, ein Bergsee oder eine Waldlichtung. Damit lenkt der Hypnotiseur die Aufmerksamkeit des Patienten weg von der OP hin zum «inneren Kino». Die Aufmerksamkeit ist gebündelt, das Gehirn ist beschäftigt und blendet die Situation um sich herum aus.
Die Erfahrungen damit sind gut: Schon allein die Anspannung wegen der bevorstehenden Operation versetzt Patient oft in einem tranceartigen Zustand. Die Hypnose vertieft diesen lediglich noch.
Aufteilung des Bewusstseins
Eine solche Erfahrung hat jeder schon einmal gemacht, beispielsweise, wenn man derart in ein Buch versunken ist, dass man die Aussenwelt völlig ausblendet oder so in einer Tätigkeit aufgeht, dass man nichts anderes mehr wahrnimmt.
Mit bildgebenden Verfahren lässt sich mittlerweile gut darstellen, dass im Gehirn unter Hypnose tatsächlich andere Regionen aktiv sind als im Wachzustand. Auch Puls, Atmung und Muskelspannung ändern sich.
«Hypnose funktioniert nach dem Prinzip der Dissoziation, einer Art Aufteilung des Bewusstseins», erklärt Flugpionier Bertrand Piccard, der in seinem zweiten Leben auch Psychiater und Hypnosetherapeut ist. «Man kann unter Hypnose zum Beispiel gleichzeitig der Erwachsene sein, der man heute ist, und das Kind, das man früher war. Auf diese Weise kann man ein belastendes Ereignis angehen.»
Durchlebte negative Gefühle können so beispielsweise nach aussen auf Objekt verlegt werden – das Unterbewusstsein kann es so leichter verarbeiten. Gute Erfolge zeigt die Hypnose in der Therapie psychosomatischer Erkrankungen, Ängsten oder Phobien. Auch in der Geburtsvorbereitung oder der Behandlung von Herz-Kreislauf-, Verdauungs- oder Hautkrankheiten, Schlafproblemen, Süchten, Schmerzen, Depressionen oder Migräne kann sie hilfreich sein.
Je grösser der Anteil der Psyche an der Erkrankung ist, desto grösser sind auch die Erfolge der Behandlung. «Der Patient kann wie ein Fernsehzuschauer aus einer sicheren Position auf das Trauma schauen», sagt Bertrand Piccard.
Selbst das Gehirn austricksen
Dabei ist im Prinzip der Patient sein eigener Therapeut. Geübten gelingt es, sich selbst durch Suggestion zu beeinflussen. Bertrand Piccard selbst hat bei seinen extremen Luftfahrtexpeditionen den Schlafmangel immer wieder durch Selbsthypnose kompensiert. Auch auf schwierige Situation hat er sich im Vorfeld auf diese Art selbst vorbereitet.
Gabriel Palacios, Experte für experimentelle Hypnose, geht das Thema anschaulich an. Es ist sein Talent, zunächst Menschen herauszufiltern, die besonders gut hypnotisierbar sind und sie dann in Trance zu versetzen. Dies gelingt sogar über die Entfernung hinweg, über den Bildschirm beispielsweise. Prinzipiell braucht es nichts als die Bereitschaft des Teilnehmers, sich auf die Hypnose einzulassen und die Möglichkeit, dabei der ruhigen Stimme des Hypnotiseurs zu lauschen.
Egal, ob Therapie oder Theater: Wichtig ist, dass die Hypnose am Ende wieder komplett zurückgeführt wird – idealerweise erfolgt das gestuft über Zurückzählen oder einen Berührungsreiz oder anderes, um den Patienten wieder «zurückzuholen». Das ist sehr wichtig, denn es kann sonst zu ernstzunehmenden Beeinträchtigungen kommen – wie eine deutlich verlangsamte Reaktionszeit, Affekthandlungen oder sogar veränderte Sinneswahrnehmungen.