Das eine Mal steht Acrylamid am Pranger, das entsteht, wenn Fleisch oder Pommes frites zu dunkel geraten. Das andere Mal schlagen Behörden Alarm, weil wir viel zu viel Salz – oder wahlweise Zucker – konsumieren.
Manches Obst und Gemüse ist pestizidbelastet, im Fleisch werden immer wieder Antibiotika gefunden. Selbst lebenslanges Kuhmilch-Trinken könnte schädlich sein.
Und nun stehen also Wurstwaren unter Beschuss – wieder einmal.
Dass Wurst nicht das Gelbe vom Ei ist – das ja auch immer wieder wegen des Cholesterins und Fetts unter Verdacht gerät – ist bekannt. Wurstwaren zählen zu den verarbeiteten Lebensmitteln, die meist viel mehr Zusatz- und Inhaltsstoffe enthalten, als dem Körper wirklich gut tun. Gesundheitsbewusste schränken den Konsum deshalb schon länger ein – oder verzichten gar ganz darauf.
Altbekanntes in neuem Kleid
Genau in diese Kerbe schlägt denn auch der aktuelle Bericht der WHO. Dessen Kernaussage: Wer mehr als 50 Gramm verarbeitetes Fleisch, also Wurst, Schinken, Speck isst, nimmt ein um 18 Prozent erhöhtes Risiko für Darmkrebs in Kauf – je mehr Wurst, desto höher das Risiko. Davon wollen sich sehr viele aber nicht den Appetit auf ihre Cervelat verderben lassen, das zeigen die zahlreichen Reaktionen auf die Studie.
Was genau die Wurst so ungesund macht, ist noch nicht klar. Nitrit im Pökelsalz, Fett, sogar das Fleisch an sich oder dessen Erwärmung im Zuge der Verarbeitung stehen im Verdacht. Vielleicht machen auch erst bestimmte Bakterien im Darm die Wurst zur Krebsgefahr.
Aus der Luft gegriffen sind die Ergebnisse der WHO-Studie aber nicht. Das bestätigt auch Ulrich Keller, Präsident der Eidgenössischen Ernährungskommission EEK. Bereits 2014 hat die EEK selbst den Fleischkonsum in der Schweiz unter die Lupe genommen: «Wir haben das Gleiche herausgefunden wie die WHO auf der Basis grosser, internationaler Studien. Man muss die Erkenntnis ernst nehmen, dass mit Zunahme des Konsums von verarbeiteten Fleisch negative gesundheitliche Folgen auftreten können.»
Verlässliche Datenlage
Denn die neuen WHO-Ergebnisse werden durch mehr als 800 Studien zum Thema gestützt, in denen der Zusammenhang von Wurstkonsum und mehr als ein Dutzend Krebsarten untersucht wurde – manche der Studien mit immenser Probandenzahl über Jahrzehnte hinweg. Für seine eigene Auswertung aus dem Jahr 2014 legt Ulrich Keller jedenfalls die Hand ins Feuer.
«Die Expertenberichte werden durch externe und interne Fachleute geschrieben. Man diskutiert, welches Thema man aufgreifen möchte – wegen neuer Studiendaten oder grossem öffentlichem Interesse. Dann bestimmt man einen Präsidenten dieser Arbeitsgruppe, der Autoren und Autorinnen dafür sucht. Diese schreiben dann den Bericht aufgrund vorliegender Studiendaten. Die resultierende Empfehlung gibt man dann ans Bundesamt ab.»
Vielfach kommt der Vorwurf mangelnder Unabhängigkeit der Forscher ins Spiel. «Die Autoren müssen einen ‹Conflict of interest› deklarieren, sollte einer bestehen. Das sind aber in der Regel akademisch tätige Fachleute, die sich auch sonst bereits profiliert haben durch ihre wissenschaftliche Tätigkeit», so Keller.
Ständiges Warnen stumpft ab
Plausibel oder nicht – auf den Konsum von Fleisch und Wurstwaren hierzulande hatte die WHO-Warnung bislang keinen messbaren Einfluss. Der Tenor unter den von «Puls» befragten Konsumenten: Wenn man jede Warnung für bare Münze nehmen würde, könnte man ja bald gar nichts mehr essen.
Wenig begeistert von der WHO-Warnung ist auch die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE, die auf den «Wurst macht Krebs»-Zug bewusst nicht aufspringt. Geschäftsführer Christian Ryser macht sich ohnehin Sorgen, dass wichtige Botschaften zur gesunden Ernährung nicht mehr ankommen könnten: «Die Leute werden langsam müde, dauernd solche Empfehlungen zu hören. Wenn wir wirklich ein wichtiges Thema lancieren, erreichen wir sie gar nicht mehr.»