Wenn man zum Arzt geht, erwartet man von ihm die wirksamste Behandlung mit den wenigsten Nebenwirkungen. Doch so einfach ist das gar nicht. Denn der Arzt verlässt sich bei seiner Einschätzung im besten Fall auf die Resultate klinischer Versuche. Doch leider werden viele dieser klinischen Versuche gar nicht veröffentlicht, und zwar oft just jene nicht, die zeigen würden, dass eine Therapie gar nicht so gut wirkt oder gar schlimme Nebenwirkungen hat.
Der Arzt kann also oft gar nicht die beste Behandlung anbieten, weil ihm nicht alle Informationen zur Verfügung stehen.
Studienregister als Lösung?
Damit sich diese Situation verbessert, wurden vor einigen Jahren Studienregister eingerichtet. Darin müssen alle klinischen Studien vor Beginn erfasst werden und nach Abschluss die wichtigsten Resultate nachgetragen werden. In den USA heisst das entsprechende Register clinicaltrials.gov und ist für Studien, die auf US-Boden durchgeführt werden, obligatorisch. Andere Länder haben ähnliche, wenn auch meist nicht obligatorische Register.
Diese Register sind öffentlich zugänglich. So kann jedermann einfach nachprüfen, was eine klinische Studie ergeben hat und ob sie dann auch wirklich in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Doch genau das scheint nicht zu klappen. Das zeigt eine Auswertung einer Stichprobe von Studien auf clinicaltrials.gov, die die französische Forscherin Agnes Dechartres vom «Institut national de la santé et de la recherche médicale» in Paris in der Fachzeitschrift PLOS Medicine veröffentlicht hat.
Erfassung und Veröffentlichung mit grossen Lücken
Die Hälfte aller Studien in der Stichprobe, die gemäss Register abgeschlossen waren und für die dort auch Resultate angegeben wurden, waren laut der Auswertung nach wie vor nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden.
Man könnte zur Entschuldigung vorbringen, der ganze Publikationsprozess mit der Begutachtung sei eben langwierig. Vielleicht müsse man nur noch etwas Geduld haben, und die Studien würden dann schon noch veröffentlicht.
Doch die Auswertung von Agnes Dechartres zeigt: Auch bei den tatsächlich veröffentlichten Studien zeigt sich Unerfreuliches. Nebenwirkungen ein und desselben Medikaments, und zwar auch schwere, wurden in den Fachzeitschriften viel seltener berichtet als im entsprechenden Eintrag im Register. Sprich: Wer nur die medizinischen Fachzeitschriften liest, bekommt einen verharmlosenden Eindruck der Medikamenten-Nebenwirkungen.
Bringen also Register für klinische Studien gar nichts für die Transparenz medizinischer Forschung? Doch, aber sie müssen auch genutzt werden, insbesondere von den Begutachtern von Fachzeitschriften, die die Angaben in einer Publikation immer mit den Daten im Register vergleichen müssten, sagt Agnes Dechartres.
Die Kontrolleure stehen in der Pflicht
Das sieht auch Peter Kleist so. Er ist der medizinische Direktor des Schweizer Ablegers der Pharmafirma GlaxoSmithKlein. Nicht nur die Forschenden und die Pharma gehörten gerüffelt für unvollständige Veröffentlichungen, sondern eben auch die Kontrolleure der Fachzeitschriften.
Peter Kleist ist einer jener – immer noch eher seltenen – Pharmavertreter, die offensiv mehr Transparenz von der eigenen Branche fordern. Studienregister seien da nur der Anfang.
Daten zu 100 Prozent auf den Tisch
Für eine wirkliche Lösung müssten nicht nur Studien registriert und ausgewählte Resultate veröffentlicht werden, sondern schlicht alle Daten einer Studie. «Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Wenn die Industrie auch in Zukunft vertrauen geniessen möchte, bleibt ihr gar nichts anderes übrig als vollständig transparent zu sein. Und dann gehören auch die Daten zu hundert Prozent auf den Tisch», sagt Peter Kleist.
Diese Forderung ist allerdings noch weit von der Realität entfernt. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Ohne Druck, ohne Sanktionen, wird sich kaum etwas bewegen.
Schweiz hinkt hinterher
Die Schweiz hat besonders Nachholbedarf. Ein nationales Register für klinische Studien wird es erst ab dem 1. Januar 2014 geben, wenn das neue Humanforschungsgesetz in Kraft tritt. Dass Forschende und Pharmafirmen dort auch die Resultate der Studien veröffentlichen müssen – geschweige denn die vollständigen Daten – ist nicht einmal zwingend vorgesehen.