Etwas trinken, ohne das halbe Glas zu verschütten, ist für Markus Reimann unmöglich. So stark zittern seine Hände. Er leidet am sogenannten «essenziellen Tremor» – eine neurologische Bewegungsstörung, deren Ursache unbekannt ist. Auf den ersten Blick sieht man Markus Reimann nichts an. Erst wenn er auf die Feinmotorik seiner Hände angewiesen ist, setzt das Zittern ein.
Erste Symptome hat Markus Reimann vor zehn Jahren bemerkt: «Es wurde immer mehr und es nimmt einem die Lebensqualität.»
Radikale Operation im Gehirn
Aber auch die Arbeitsqualität leidet darunter: Seit zwei Jahren ist er in seiner Tätigkeit als Bereichsleiter Pflege massiv eingeschränkt. «Ich habe sicher einen Drittel länger als die anderen.» Medikamente konnten ihm nicht mehr helfen.
Deshalb hat der 58-jährige Rat bei Neurologen gesucht. In seiner Situation gibt es zwei Eingriffe, die das Zittern reduzieren können: mit Ultraschall oder einem Implantat. Zwei radikale Methoden mit Risiken.
Wieder eine Karte schreiben, die man lesen kann
Markus Reimann hat eineinhalb Jahre gebraucht, um sich zu entscheiden. Der Eingriff mit Ultraschall ist ihm sympathischer. Vorerst soll die Ultraschall-Behandlung die Beschwerden seiner rechten Hand korrigieren, denn er ist Rechtshänder.
Einen Tag vor dem Eingriff muss Markus Reimann ein paar letzte Tests machen – zur Dokumentation, wie ausgeprägt sein Tremor-Zittern ist: Der Versuch eine Spirale zu zeichnen misslingt. Auch aus einem Glas zu trinken, fällt ihm schwer. «Ich möchte wieder ein Glas Wein halten, ohne es mit beiden Händen halten zu müssen», sagt Markus Reimann. «Und ich möchte wieder eine Karte schreiben können, die man auch lesen kann.»
Es gibt kein Zurück
Es ist so weit, die Neurologen positionieren Markus Reimann im Magnetresonanztomographen. Lennart Stieglitz, Neurochirurg am Universitätsspital Zürich, kontrolliert Position und Stärke der hochintensiven Schallwellen mit einer Computersoftware. Ein Areal von vier bis sechs Millimeter soll bei Markus Reimann verbrannt werden. Zehn Sekunden reichen aus. Wird die falsche Stelle behandelt, kann es zu Lähmungen, Gefühls- und Sprechstörungen kommen.
«Die Vorstellung etwas zu zerstören, das nicht rückgängig gemacht werden kann, daran muss man sich erst einmal gewöhnen», sagt Lennart Stieglitz. «Der Vorteil bei dieser Technik ist, dass wir uns herantasten können.» Er kann das Gewebe zunächst auf 50 Grad erwärmen und testen, ob dieses Areal dem Patienten einen Nutzen bringt, oder Nebenwirkungen verursacht. Erst als Lennart Stieglitz überzeugt ist, die richtige Stelle gefunden zu haben, erhöht er die Temperatur auf über 60 Grad – mit zerstörerischer Wirkung.
Tränen vor Erleichterung
Bereits eine Viertelstunde nach dem Eingriff muss Markus Reimann dieselben Aufgaben wie am Vortag lösen. Er fasst zum Glas, führt es zum Mund und kein Tropfen geht daneben. Auch die Spirale, die er zeichnet, lässt sich sehen.
Vor Erleichterung fliessen Markus Reimann Tränen über die Wange. «Emotionen pur, ich konnte mir nicht vorstellen, wie deutlich der Unterschied ist», sagt Markus Reimann. «Da haben sich doch all die Strapazen und der Aufwand gelohnt.»
Eine Garantie dafür, dass die Verbesserung dauerhaft bleibt, gibt es nicht. Die Spezialisten gehen aber davon aus, dass der Effekt viele Jahre anhält.
Puls, 17.02.2020, 21:05 Uhr