Nach der Warnung der WHO - Finger weg von Produkten mit Aspartam?
Der künstliche Süssstoff findet sich in vielen Softdrinks, Kaugummis und Diätprodukten. Die WHO-Einstufung als «möglicherweise krebserregend» ist weniger gravierend als sie sich anhört.
Aspartam ist etwa 200 Mal süsser als herkömmlicher Zucker – und doch ist da jetzt ein bitterer Beigeschmack. Denn die internationale Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO stuft den Süssstoff für Menschen neu als «möglicherweise krebserregend» ein. Das klingt beängstigend. Doch die Beweislage wirft Fragen auf.
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Süssstoff Aspartam möglicherweise krebserregend
05:04 min, aus Rendez-vous vom 14.07.2023.
Bild: KEYSTONE/DPA/Hendrik Schmidt
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So ist die IARC vorgegangen
Die WHO-Agentur beruft sich mit der Einteilung auf «begrenzte Evidenz» (es gibt zwar Nachweise – aber nur wenige) für die krebserregende Wirkung beim Menschen bei einer Form von Leberkrebs. Die Einschätzung basiert auf drei Studien, die einen nicht eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Trinken von künstlich gesüssten Getränken und dem Leberkrebsrisiko festgestellt haben.
Auch die Evidenz in Tierstudien reiche laut den Expertinnen und Experten nicht aus, um eine strengere Einteilung zu machen. Denn um mit Sicherheit sagen zu können, dass etwas sowohl eine Gefahr als auch ein Risiko darstellt, sind klare biologische Mechanismen, konsistente Daten aus Tiermodellen und aus Studien am Menschen erforderlich.
Von Gruppe 1 bis Gruppe «nicht klassifizierbar»
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Übrigens: Wie krebserregend etwas ist, fasst die IARC in unterschiedlichen Gruppen zusammen. Aspartam wird der Gruppe 2B zugeteilt.
Die Einteilung der IARC reicht von
Sicher krebserregend bei Menschen (Gruppe 1) über
Wahrscheinlich krebserregend (Gruppe 2A) zu
Möglicherweise krebserregend (Gruppe 2B) bis hin zu
Nicht-klassifizierbar.
Aspartam liegt also im Mittelfeld.
Während verarbeitete Fleischprodukte beispielsweise der Gruppe 1 zugeordnet werden, ist rotes Fleisch nur «wahrscheinlich krebserregend» – wie Getränke, die heisser sind als 65 Grad.
Das bedeutet der Entscheid
«Tatsächlich lässt sich daraus kaum ableiten, was das für die Sicherheit von Lebensmitteln bedeutet», so Stefanie de Borba von der Krebsliga Schweiz. Die Einschätzung betreffe nur die Frage, ob ein Stoff grundsätzlich in der Lage ist, krebserregend zu sein.
Genauso krebserregend wie Aspartam ist laut Einteilung der IARC etwa Ginkgo-Extrakt oder ein Coiffeurbesuch.
Wie hoch das Gesundheitsrisiko nach dem Verzehr bestimmter Stoffe ist, bewertet der WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe JECFA. Er kommt zum Schluss, dass es keine überzeugende Beweislage zur schädlichen Wirkung von Aspartam gibt. Die Tageshöchstdosis von 40 mg/kg sei weiterhin akzeptabel. Das bedeutet: Ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener müsste mehr als 9 bis 14 Dosen Diät-Softdrinks pro Tag konsumieren, um den Wert zu überschreiten.
Das Aspartam-Wirrwarr: Was sind Studien wert?
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Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA erklärte 2013 Aspartam für unbedenklich. Nun ändert sich das – aufgrund von drei Studien, die methodische Mängel aufweisen und eine Assoziation, aber nicht eine Kausalität anzeigen.
Wir haben mit Dr. Nicole Steck von der Krebsliga Schweiz gesprochen.
SRF Wissen: Frau Steck, warum ist es im Fall von Aspartam so schwierig, eine klare Aussage zu treffen?
Nicole Steck: Bei Lifestyle- und Ernährungsgewohnheiten ist es immer kompliziert, weil wir alle so unterschiedlich leben und verschiedenste Voraussetzungen haben.
Eigentlich müsste man einen randomisierten Versuch machen, in dem die Versuchsteilnehmenden sich alle exakt gleich viel bewegen und genau dasselbe essen. Ein Teil der Teilnehmenden müsste dann täglich einen Löffel Aspartam zu sich nehmen, der andere Teil nicht. Nur so könnte man am Ende sagen: Jeder Unterschied, den wir hier finden, geht vermutlich auf Aspartam zurück. Sicher ist das aber nicht. Denn zu alledem kommen noch individuelle genetische Faktoren obendrauf, die wir nicht kennen.
Ist das auch der Grund für die unterschiedlichen Studienergebnisse?
Einer davon. Das Problem in Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen ist oft, dass es sich um Beobachtungsstudien handelt. Es wird also etwa gefragt, wer Aspartam konsumiert und wer nicht – und nicht, wie viel oder was sonst noch in ihrer Ernährung eine Rolle spielt.
Dazu kommt, dass sich die Leute in der Regel auch sonst unterscheiden. Bei Aspartam ist es gut möglich, dass das eher Leute konsumieren, die ohnehin Probleme mit dem Gewicht haben. Sie haben möglicherweise auch ein höheres Krebsrisiko, weil sie sich weniger bewegen und vielleicht schlechter ernähren. Am Ende herauszufinden, was der entscheidende Faktor ist: sehr schwierig.
Was, wenn ich mich jetzt trotzdem unsicher fühle mit einem Diätdrink im Kühlschrank?
Ich rate dazu, sich insgesamt ausgewogen zu ernähren, nicht zu rauchen und sich regelmässig zu bewegen. Dann kommt es nicht auf einzelne Komponenten an.
Deshalb sind die News nicht ganz so neu
Aspartam sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Aufsehen: Im vergangenen Jahr zeigte etwa eine Studie mit 100'000 Erwachsenen, dass Menschen, die grössere Mengen an Süssstoffen – einschliesslich Aspartam – konsumierten, ein leicht erhöhtes Krebsrisiko hatten.
In einer italienischen Studie aus dem Jahr 2010 hatten Mäuse nach Aspartam-Konsum Tumoren entwickelt. Eine weitere Untersuchung fand Hinweise, dass der tägliche Konsum das Risiko einer Frühgeburt erhöhen könnte. Allerdings wurden die Standards der Studien in der Vergangenheit kritisiert.
Was ist Aspartam überhaupt?
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Aspartam – auch bekannt als E951 - ist ein synthetisch hergestellter Süssstoff. Er kommt bei der Herstellung von Softdrinks, Kaugummis, Süssspeisen sowie Diätprodukten zum Einsatz. In der EU müssen Produkte, die den Stoff enthalten, gekennzeichnet sein.
Die empfohlene Tageshöchstdosis in der EU liegt bei 40 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Ein Kind mit 20 Kilo Körpergewicht kann der Efsa zufolge täglich anderthalb Liter mit Aspartam gesüsste Limonade trinken, ohne den Grenzwert zu erreichen.
Das könnten die Folgen des Entscheids sein
Könnte die Entscheidung der IARC eine erneute Debatte über die Sicherheit von Süssstoffen auslösen? «Ich halte es jedenfalls nicht für nötig», so Nicole Steck von der Krebsliga Schweiz. «Wir werden aber sicher genau prüfen, auf welche Erkenntnisse sich der Entscheid stützt», so die Expertin.
Wir empfehlen nicht, dass Verbraucher gänzlich auf Süssstoffe verzichten, aber wir empfehlen Zurückhaltung.
Möglich ist auch, dass die Rolle des IARC-Bewertungssystem erneut in den Fokus rückt: Zuletzt geschah das, als der deutsche Konzern Bayer einen Glyphosat-Entwickler übernahm und eine Klagewelle in den USA einheimste. Der Unkrautvernichter wird weltweit von Behörden als «nicht krebserregend» eingestuft. Nur die IARC bewertete ihn 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» – auf diese Einschätzung beriefen sich die Kläger.
Sind Süssungsmittel gesünder als konventioneller Zucker?
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Zum Verhindern von Karies sind Süssungsmittel nach Angaben verschiedener Institute für Ernährung eine gute Alternative zu Zucker. Schlank machten Süssungsmittel per se aber nicht. Bei ausgewogener Ernährung und Bewegung könnten sie aber beim Abnehmen helfen, da sie keine Energie lieferten.
Die WHO kam im Mai zu einem anderen Ergebnis. Sie riet davon ab, zuckerfreie Süssstoffe zur Gewichtskontrolle einzusetzen. Bei Erwachsenen erhöhe der langfristige Konsum nach Studien unter anderem das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu zuckerfreien Süssstoffen zählt die WHO alle synthetischen und natürlichen Süssstoffe, auch Produkte aus der Pflanze Stevia.
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