Alle zehn Wochen muss Basil Christen ins Spital. Für ihn ist das nichts Besonderes. Als Kind hat er viel Schlimmeres durchgemacht.
Im Alter von vierJahren erkrankte er an einem Neuroblastom. Das ist ein aggressiver Krebs, der bei ihm in der Beckengegend wucherte.
Er erhielt Chemotherapie und wurde bestrahlt – bekämpfte den Krebs erfolgreich.
Dann, Basil Christen war elf, kam der Krebs zurück. Erneute Chemotherapie und Bestrahlung. Schliesslich konnte der Junge die Krankheit besiegen.
Nach einer abschliessenden Untersuchung wurde er dann als gesund befunden und im Alter von 16 Jahren in die Welt entlassen.
Spätfolgen? Damals kein Thema.
Doch dass bei Basil Christen keine Nachkontrollen stattgefunden haben, hatte Konsequenzen. Als Folge der Bestrahlung ist sein Becken nicht ausgewachsen, und sein Körper produzierte nicht genügend Testosteron. Er litt an Depressionen, war sehr emotional und seine Stimmung schwankte stark. Dadurch wurde sowohl sein berufliches wie auch soziales Leben beeinträchtigt.
Sein Hormonmangel wurde erst nach vielen Jahren und auf seine Initiative hin entdeckt und behandelt. Damit ist Basil Christen kein Einzelfall.
Viele überleben heute einen Kinderkrebs – die Nachsorge ist aber nicht gut geregelt
Zwar überleben dank verbesserten Therapien heute etwa 80 Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit einer bösartigen Krebserkrankung. Gleichzeitig konnte aber gezeigt werden, dass rund zwei Drittel der Überlebenden an krankheits- und therapiebedingten Langzeitfolgen leiden.
Nun, da sich Ärztinnen und Ärzte des Problems bewusst sind, gilt es dieses zu beheben. Dafür setzt sich auch Eva Maria Tinner ein. Sie ist Kinderonkologin am Kantonsspital Baselland.
Dazu führt Eva Maria Tinner mit Überlebenden von Kinderkrebs Nachsorge-Sprechstunden durch.
Einer ihrer Patienten ist Jörg Corsten. Im Alter von acht Jahren wurde bei ihm ein Knochentumor festgestellt, den er erfolgreich bekämpfte. Aber auch bei ihm wurde nicht speziell auf Spätfolgen der Krebsbehandlung hingewiesen oder nachkontrolliert.
Im Gespräch mit Eva Maria Tinner konnte er am Kantonsspital Liestal dann endlich abklären lassen, welche Risiken für Spätfolgen bei ihnen bestehen.
Bedürfnis nach Aufklärung über mögliche Spätfolgen
Dabei schreibt Eva Tinner genau auf, welche Krebstherapien in der Kindheit durchgeführt wurden. Mit diesen Informationen kann dann ein individueller Nachsorgeplan – der sogeannte «Passport for Care» – erstellt werden.
In diesem Pass wird einerseits genaustens dokumentiert, welche medizinische Behandlung ein Kinderkrebspatient oder -patientin erhalten hat und andererseits werden darin Empfehlungen festgehalten für die Langzeitnachsorge.
Der «Passport for Care» soll somit die Nachbehandlung vereinfachen und vor allem gewährleisten.
Im Passport von Jürgen Corsten ist darum aufgelistet, dass bei ihm besonders auf seine Herzgesundheit geachtet werden soll. Im Detail heisst das: Echokardiographie alle zwei Jahre. Und auch auf die Nieren soll ein behandelnder Arzt oder Ärztin achten.
Und das sind nur die wichtigsten zwei Punkte. Die ausführliche Liste der möglichen Spätfolgen ist lang und beinhaltet unter anderem verschiedenste Zahnprobleme, Nervenschäden oder gar Nervenausfälle.
Das war Jörg Corsten so vor seinem Gespräch noch nicht bewusst. Erst war er darüber schon besorgt. Mittlerweile kann er die Bedeutung und Wichtigkeit des Passes aber gut einordnen.
Das Verlangen, zu wissen, was noch alles auf einem zukommt, nachdem man für geheilt erklärt wird, teilen laut verschiedenen internationalen Studien viele Überlebende von Kinderkrebs.
Mit dem Erstellen des «Passport for Care» und Nachsorgegesprächen will man diesem Bedürfnis also in Zukunft gerecht werden.
Mehr Wissen und Kontrolle für junge Patientinnen und Patienten
Und nicht nur das Wissen, sondern auch die Kontrolle über eine weiterführende Behandlung oder Nachsorge ist dabei wichtig für die Betroffenen.
Denn laut einem Bericht in der Schweizer Zeitschrift für Onkologe im Jahr 2018 ist gerade die Transition von Kinderkrebspatienten eine schwierige Zeit.
Mit Transition wird dabei der Übergang von Kinderkrebspatientinnen und -patienten von der Kinderonkologie in die Erwachsenenmedizin bezeichnet.
Die Transition ist einerseits schwierig, weil die Überlebenden von Kinderkrebs sofort mehr Eigenverantwortung tragen, da die Eltern nicht mehr zwingend mitentscheiden, wie es weitergehen soll.
Andererseits gehen die jungen Erwachsenen auch von einer bisherigen Tumorbehandlung in eine Nachsorge über. Und eine Nachsorge kann da schon einmal weniger dringlich erscheinen. So, schreiben die Autorinnen der Zeitschrift, könne es dazu kommen, dass die jungen Erwachsenen nicht, oder nicht regelmässig genug, zur Nachsorge gehen.
Willkommene Struktur
Soll die Nachsorge bei Kinderkrebsüberlebenden verbessert werden, so scheinen der «Passport for Care» sowie Nachsorge-Sprechstunden wie die von Eva Maria Tinner am Kantonsspital Baselland willkommene Hilfsmittel zu sein.
Noch fehlt ein solch strukturierter Nachsorgeplan für Überlebende von Kinderkrebs in der Schweiz. Die Idee findet jedoch zunehmend Anklang. Den «Passport for Care» gibt es bis jetzt erst im Kantonsspital Baselland und im Inselspital Bern. Aber auch im Kantonsspital Luzern möchte man nun interdisziplinäre Sprechstunden für ehemalige Krebspatienten anbieten.