Heute schon ein Selfie verschickt? Oder jemandem stolz erzählt, dass die eigenen Entscheidungen der Firma viel Geld gebracht haben?
Keine Sorge: Das ist noch keine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Und auch wer sich gut und gerne auf Social Media präsentiert, ist nicht automatisch ein Narzisst oder eine Narzisstin.
Der Begriff «Narzisst» ist zwar breit gefächert und beinhaltet auch leichte narzisstische Züge. Die können aber auch positiv bewertet werden. Ideenreichtum zum Beispiel, Leistungsstärke oder ein gutes Selbstbewusstsein.
Vom normalen Narzissmus zur Persönlichkeitsstörung
Wann kippt «normaler» Narzissmus in eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die den Menschen im Umfeld schadet? «Die Diagnosestellung ist eigentlich einfach», erklärt Marc Walter, Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau PDAG. «Es ist wie ein standardisiertes Interview.»
Wenn fünf der neun Fragen (siehe Box) bejaht werden, liegt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vor. Zusätzlich müssen auch eine Funktionsbeeinträchtigung und ein Leidensdruck vorliegen.
Ein weiteres Merkmal, um schweren pathologischen Narzissmus von leichterem zu unterscheiden: die Beziehungsfähigkeit.
Personen mit leichten narzisstischen Zügen sind laut Walter durchaus beziehungsfähig. Je ausgeprägter der Narzissmus ist, desto weniger ist es möglich, sich auf andere Personen und echte Beziehungen einzulassen.
Grandios oder vulnerabel
Nicht immer erscheinen Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gleich. Bekannt ist vor allem der grossartig-maligne Typus, der Donald Trump oder Silvio Berlusconi nachgesagt wird.
Er verhält sich asozial, kann aggressiv und paranoid sein. Er ist von seiner eigenen Grossartigkeit überzeugt, schreckt vor Rache nicht zurück, fühlt sich aber gleichzeitig wenig wertgeschätzt.
Der vulnerable Typus ist geprägt von depressiven Stimmungen, Scham und Anspannung.
Mit Kritik und Misserfolgen kann er nur schwer umgehen. Dieser Typus wird auch als «verdeckter Narzissmus» bezeichnet und betrifft mehr Frauen.
Man geht davon aus, dass im deutschsprachigen Raum ein Prozent der Bevölkerung eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat. Zwei Drittel davon sind Männer, ein Drittel Frauen. Allerdings ist von einer grossen Dunkelziffer auszugehen. «Es gibt keinen Narzissten, der sagt ‹ich bin narzisstisch und komme in Therapie›. Keinen einzigen», sagt Marc Walter.
Psychischer Missbrauch bis ins Bodenlose
Menschen, die es mit einer Person zu tun haben, die eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung haben, können ernsthaften psychischen Schaden erleben.
Die ständigen Manipulationen der narzisstischen Person schwächen das Selbstbewusstsein des Gegenübers bis ins Bodenlose. Nicht selten müssen sie sich in Behandlung begeben.
Grenzen setzen
Wer befürchtet, einer Person mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ausgesetzt zu sein, sollte sich als Erstes über deren typisches Verhalten informieren und sich fragen, welches Verhalten des Gegenübers man selbst akzeptieren kann und welches nicht.
Wird diese Grenze zu oft überschritten, kann es sich lohnen, Hilfe zu suchen – zum Beispiel bei einer Selbsthilfegruppe.