Dass die Deckplatten von Rückenwirbeln einbrechen, ist im Alter nicht ungewöhnlich: Osteoporose führt zu Knochenschwund - die Knochen werden porös und brechen leichter. Gut 50 Prozent der Frauen und etwa 30 Prozent der Männer über 50 sind davon betroffen.
In der Schweiz brechen pro Jahr geschätzte 19‘000 Rückenwirbel ein. Diese können langsam und unbemerkt in sich zusammensacken oder plötzlich kollabieren, etwa bei einem Sturz, beim Husten oder beim Anheben von Gewicht. Zwei Drittel der betroffenen Personen merken vom Wirbelbruch aber wenig - sie spüren höchstens Rückenschmerzen, die innert Tagen oder Wochen wieder deutlich abnehmen. Denn wie jeder Knochenbruch heilt auch ein eingebrochener Rückenwirbel wieder. Allerdings verringert sich mit jedem eingebrochenen Wirbel die Körpergrösse und es kann sich eine sogenannte Kyphose bilden - ein «Witwenbuckel». Die Verformung der Wirbelsäule verursacht dauerhaft Schmerzen und schränkt die Bewegung ein.
Die Osteoporose kann mit Medikamenten behandelt werden: Sie helfen dem Knochen sich zu regenerieren. Dank Physiotherapie, Gehhilfen und Verhaltensschulungen erhalten viele Patienten ihre Beweglichkeit zurück. Gerade weil es eine erfolgreiche konservative Therapie gibt, ist umstritten, ob es zur Behandlung „normaler“ alters- bzw. osteoporosebedingter Rückenwirbel-Brüche eine Operation braucht.
Knochenzement in die Wirbelsäule
Dieser Frage hat sich der Expertenrat des Swiss Medical Board angenommen. In seinem neusten Bericht werden Erkenntnisse über Knochenzement-Operationen zusammengefasst.
Die gängigsten Operationen sind die Vertebroplastie und die Kyphoplastie. Bei der Vertebroplastie wird eine grosse Hohlnadel in den eingebrochenen Rückenwirbel eingeführt. Knochenzement wird eingespritzt, der in kurzer Zeit aushärtet und den Wirbelkörper stabilisiert. Da der Patient in Bauchlage liegt, wird sein Rücken durch den Eingriff auch aufgerichtet.
Sehr ähnlich verläuft die Kyphoplastie: Hier wird aber zuerst eine Art Ballon im eingebrochenen Wirbelkörper aufgeblasen und der Hohlraum dann mit Knochenzement gefüllt.
Wie jede Operation bergen auch diese beiden Techniken ihre Risiken: Wenn Knochenzement aus dem Wirbel austritt, kann dieser auf Nerven oder das Rückenmark drücken. Falls er in die Blutbahn gelangt, kann er auch Lungenembolien auslösen.
Langzeiterfolge sind fraglich
In einem Punkt sind sich die Experten heute einig: Der Einsatz von Knochenzement mache vor allem dann Sinn, wenn ein Wirbelbruch frisch und die Schmerzen für den Patienten trotz starker Schmerzmittel kaum erträglich sind. Dann nämlich kann eine Kypho- oder Vertebroplastie die Schmerzen deutlich und rasch lindern. Allerdings zeigt sich in Studien, dass 6 Monate nach dem Eingriff zwischen operierten wie nicht-operierten Patienten kein Unterschied bezüglich Schmerzen und Beweglichkeit mehr besteht. Ob die Operationen also langfristig weniger Rückenschmerzen und für den Patienten Vorteile bringt, ist bis heute unklar. Manche Studien besagen sogar, dass der harte Zement inmitten von porösen Rückenwirbeln eher dazu führen könnte, dass noch weitere umliegende Wirbel einbrechen.
Der Bericht des Swiss Medical Board fordert weitere Studien auf dem Gebiet. Langzeitstudien sind allerdings nicht ganz einfach, da die Patienten oft betagt sind und nur noch wenige Jahre leben.
Knochenzement: Der Stoff, der Wirbel wieder aufrichtet
Grau, angerührt, steinhart: Mit Bauzement hat Knochenzement wenig gemein. Seinen Namen verdankt er seiner Herstellungsart - und seinem stabilisierenden Effekt.
Knochenzement hat eine lange Geschichte. Im zweiten Weltkrieg wurde per Zufall entdeckt, dass der menschliche Körper den Kunststoff Polymethylmetacrylat offenbar protestlos akzeptiert: Damals kam der Stoff als leicht zu verarbeitendes Plexiglas in den Kuppeln von Flugzeugen zum Einsatz. Piloten, die einen Absturz überlebt hatten, waren oft gespickt mit Splittern, die ihnen aber keine Probleme zu bereiten schienen. Selbst Jahre später fanden Ärzte in diesen Patienten noch kleine Scherben, die keinerlei Abstossungsreaktionen verursacht hatten. Die Medizin hatte eine neue Substanz für sich entdeckt.
Kontaktlinsen, Zahnfüllungen und Knochenzement
Bis heute wird Acryl- oder Plexiglas für medizinische Zwecke ständig weiterentwickelt und kommt derzeit sowohl in Kontaktlinsen als auch als Knochenzement zum Einsatz. Der Füllstoff für kollabierte Wirbel besteht zu 60 bis 70 Prozent aus Polymethylmethacrylat - also dem Kunststoff Plexiglas. Zusätzlich ist Benzoylperoxid hinzugefügt. Die Chemikalie stösst die chemischen Prozesse an, die für das letztliche Aushärten des Knochenzements erforderlich sind. Kontrastmittel zeigen Medizinern, wo genau der Füllstoff platziert ist. Weichmacher bewirken, dass er elastisch bleibt. Antibiotika schützen vor möglichen Infektionen.
Zu dieser Mischung kommt das Kunstharz Methacrylat hinzu. Diesen Klebstoff ergänzen weitere Substanzen, die die chemische Reaktion ankurbeln, sowie Färbemittel und Stabilisatoren. Werden die Stoffe vor dem Eingriff vermischt, verbinden sie sich – zuerst zu einer eher flüssigen, dann zu einer klebrigen und schliesslich knetartigen Masse. Dabei entstehen Temperaturen zwischen 40 und 46 Grad. Hier setzt die Entwicklung neuerer Mixturen an: Durch eine geringere Wärmeentwicklung und weniger giftige Dämpfe soll das Verfahren zunehmend schonender werden.
Biozement als Alternative
Eine solche Weiterentwicklung könnte «Biozement» sein: Er besteht aus dem Kalziumphosphat-Ersatz Hydroxylapatit. «Bio» ist er vor allem deswegen, weil er ein natürlicher Bestandteil in Knochen und Zähnen ist. Der Stoff härtet bereits bei Körpertemperatur aus und schont so das umliegende Gewebe. Patienten tragen keinen dauerhaften Fremdkörper in sich.
Der Biozement wird im Laufe der Zeit durch den natürlichen Knochenaufbau, der auch bei Osteoporose-Patienten noch stattfindet, durch Knochen ersetzt. Offenbar stimulieren die Inhaltsstoffe des Biozements diesen Prozess. Studien belegen bislang jedoch keinen Vorteil für einen der beiden Füllstoffe, weder was die Verträglichkeit, noch was die Wirksamkeit anbelangt.