Mit ihrer Unterschrift stimmen Patientinnen und Patienten einer Operation zu. Sie bestätigen dabei auch, den Eingriff zu verstehen und gut informiert worden zu sein.
In der Realität sind aber viele Patienten überfordert, durch viel zu umfangreiche Aufklärungsformulare, mit allen irgendwie denkbaren Komplikationen. «Man nimmt sich kaum Zeit, jeden einzelnen Satz durchzulesen. Unterschreiben muss man ja trotzdem. Wenn man es nicht unterschreibt, wird nicht operiert», kritisiert die Patientin Silvia Schneider. «Die Ärzte sichern sich ab, auf die hinterste und letzte Problematik.» Formulare, die wie AGBs daherkommen, wirken, als würden Patienten den Ärzten einen Freipass ausstellen.
Rechtlich nicht abgesichert
Jede Operation gilt rechtlich als Körperverletzung, in die urteilsfähige Patientinnen und Patienten einwilligen müssen. Ärzte sind zur Aufklärung verpflichtet, zum Beispiel in Bezug auf Diagnose, Vorteile, Risiken, Folgen einer Nicht-Behandlung und Behandlungs-Alternativen. Im Streitfall muss der Arzt nachweisen können, dass die Aufklärung ausreichend war.
Das Wesentliche liegt aber nicht im Gedruckten, betont Franziska Sprecher, Expertin für Gesundheitsrecht an der Universität Bern: «Es geht um den Eingriff in seinen Körper. Also ist der einzige Massstab das individuelle Informationsbedürfnis des Patienten. Er muss es verstehen und niemand anderes», sagt Franziska Sprecher. «Ein allgemeines Formular, welches für verschiedene Patienten gemacht ist, genügt dem nicht. Der Arzt kann sich nicht darauf berufen, dass es auf der hintersten und letzten Seite unten links gestanden ist. Das Gespräch ist der Massstab und nicht das Formular.»
Zu diesem Schluss kam kürzlich auch eine Befragung italienischer Chirurgie-Patienten: Gespräche mit dem Arzt waren für die Entscheidungsfindung wichtiger als schriftliche Aufklärungsformulare. Die Hälfte der Befragten las die Unterlagen nicht einmal.
Viel Zeit zum Abwägen
Dass es sich lohnt, viel Zeit in das Aufklärungsgespräch zu investieren, hat Roland Giger festgestellt. Er ist Hals- und Kopfchirurg am Inselspital in Bern. Früher kamen viele seiner Patienten schlecht vorbereitet zur Kehlkopf-Entfernung. Zu oft gab es kurzfristige Absagen, Panik und grosse Unsicherheit. «Theoretisch waren die Patienten zwar gut aufgeklärt. Als die Operation aber näherkam, merkten wir, dass das Praktische für die Operation und danach nicht wirklich angekommen ist», sagt Roland Giger.
Deshalb lädt er seine Patienten zu einem ganzen Aufklärungstag ein. Einen Tag lang treffen sie gebündelt alle an der Behandlung beteiligten Fachpersonen – um sich am Ende des Tages für oder gegen den Eingriff zu entscheiden.
Auf dem Programm steht etwa ein Termin bei der Pflege. Der Patient macht sich mit Hilfsmitteln vertraut, mit denen er nach dem Eingriff zuhause zurechtkommen muss. Eine weitere Station: Die Logopädie. Dort geht es darum, wie nach einer Kehlkopf-Entfernung Schlucken und Sprechen noch möglich sind. Die letzte Station auf dem Plan: Ein Treffen mit dem Chirurgen. Noch einmal erklärt der Arzt den Eingriff, um einen Entscheid zu fällen.
Der Aufklärungstag vor komplexen Halseingriffen wird am Inselspital seit fünf Jahren angeboten. Jährlich nehmen rund 50 Patienten daran teil. Das Konzept hat sich laut Roland Giger bewährt: «Der Schweregrad der Komplikationen ist signifikant gesunken und auch die Länge der Hospitalisation ist von 18 auf 12 Tage gesunken, weil der Patient bereits weiss, was nach der Operation passiert.»