Andreas Schürmann vom kantonalen Labor Zürich ist verantwortlich für die Pestizidanalytik – rund 1500 Lebensmittelproben untersucht sein Team Jahr für Jahr. Immer wieder finden sie Rückstände von Substanzen auf Obst oder Gemüse, die eigentlich für den Anbau in der Schweiz nicht oder nicht mehr zugelassen sind, wie beispielsweise das Insektizid Amitraz.
Meist handelt es sich dabei um Restbestände, die Bauern verbotenerweise noch einsetzten. «Ganz klar: Wenn wir so viele Rückstände finden, dass es sogar gesundheitsgefährdend wird, dann wird versucht, die Ware noch zu beschlagnahmen», sagt Schürmann.
Aber: Nicht immer greifen die Massnahmen rechtzeitig – leicht Verderbliches wie belastete Erdbeeren seien meist längst verkauft oder wieder aus den Läden verschwunden.
Im Labor werden die Produkte auf mehrere hundert Pestizide gleichzeitig getestet. Die meisten davon enthalten Spuren von Pestiziden, in Einzelfällen sogar Bio-Produkte. «Da wird links und rechts neben Bio-Betrieben konventionell angebaut. Ein gewisser Transfer in die Bio-Produkte findet dann über die Luft, über Abdrift beim Spritzen, über ablaufendes Regenwasser statt», sagt Schürmann. Die gute Nachricht: Die Konzentrationen im Essen sind tief. Über den gesetzlichen Grenzwerten liegen sie nur äusserst selten – zumindest dann, wenn die Lebensmittel aus der Schweiz oder der EU stammen.
Belastetes aus dem Asia-Laden
Problematisch jedoch können Produkte aus anderen Ländern sein – etwa Gemüse und gefüllte Weinblätter aus der Türkei sowie Früchte und Gemüse aus Asien. Besonders schlecht schneiden Produkte aus Asia-Shops ab, zum Beispiel verarbeitete Chilisaucen, eingelegter Kohl oder frisches Okra, Bohnen und Stangensellerie. Asiatische und türkische Produkte nimmt das Kantonale Labor Zürich daher besonders genau unter die Lupe: Werden die Grenzwerte überschritten, wird Strafanzeige eingereicht oder werden Importstopps verhängt. Schweizer Produkte enthalten jedoch in den allermeisten Fällen nur geringe Pestizid-Mengen. Für Andreas Schürmann bedeutet das: «Für den Menschen sind diese Rückstände eigentlich nicht problematisch. Wer raucht, schadet seinem Körper viel mehr.»
Anders sehen das die Pestizid-Kritiker, zum Beispiel Greenpeace. Vor wenigen Wochen meldete die Umweltorganisation, dass in Europa 60 Prozent der untersuchten, konventionell angebauten Äpfel mit zwei oder mehr Pestiziden belastet und gesundheitliche Auswirkungen nicht auszuschliessen seien.
«In vielen Treffen, die ich mit Behördenvertretern hatte, hiess es immer: So lange die Pestizidrückstände unterhalb der Grenzwerte liegen, müssen sich die Konsumenten keine Sorgen machen. Ich bin aber der Meinung, dass man das kritisch hinterfragen muss», pflichtet André Leu, Präsident des internationalen Dachverbandes für Bio-Landwirtschaft, bei. «Die Behörden stützen sich bei ihrer Risikobewertung und der Festlegung dieser Grenzwerte viel zu sehr auf die Studien der Pestizid-Industrie. Es ist aber wichtig, dass man auch Studien unabhängiger Wissenschaftler in öffentlich zugänglichen Fachzeitschriften berücksichtigt.»
Effekte auch unterhalb der Grenzwerte?
Vieler dieser Studien deuten auf negative Gesundheitseffekte von Pestiziden hin – auch unterhalb der Grenzwerte. Darunter Tierversuche, aber auch sogenannte epidemiologische Studien, bei denen grosse Gruppen von Menschen untersucht werden. Hier einige Resultate:
- Personen, die berufeshalber mit Pestiziden zu tun haben oder diese regelmässig in ihrem Haushalt anwenden, haben ein erhöhtes Parkinson-Risiko.
- Bauern weisen möglicherweise ein leicht erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten auf, die in Zusammenhang mit Pestiziden stehen könnten – auch wenn sie insgesamt seltener an Krebs erkranken als die Normalbevölkerung.
- Frauen, die während der Schwangerschaft grossen Mengen von sogenannten Organophosphat-Insektiziden ausgesetzt sind, bringen Kinder auf die Welt, deren Intelligenzquotient im Alter von sieben Jahren um einige IQ-Punkte reduziert ist.
Wie aussagekräftig diese Studien tatsächlich sind, ist umstritten. Denn epidemiologische Studien zeigen nur statistische, möglicherweise zufällige Zusammenhänge auf. Immerhin wird Parkinson mittlerweile in Frankreich als Berufskrankheit bei Landwirten anerkannt.
Die grosse Unbekannte: Beistoffe
Für Pestizid-Kritiker wie Greenpeace und André Leu sind solche Studien aber wichtige Warnsignale. Sie halten die heutigen Sicherheitsprüfungen, wie sie von den Behörden vorgeschrieben sind, prinzipiell für unzulänglich. Zum Beispiel muss zwar der chemische Wirkstoff eines Pestizids in aufwändigen Tierexperimenten auf seine Gefährlichkeit hin geprüft werden.
Doch diese Sicherheitstests werden ohne die sogenannten Beistoffe durchgeführt, die sich ebenfalls im Pestizid befinden. Diese Beistoffe sorgen etwa für leichtere Versprühbarkeit oder dafür, dass die Pflanze den aktiven Wirkstoff besser aufnimmt. «Diese Mischung wird nicht auf Sicherheit getestet. Doch Studien zeigen, dass diese Beistoffe die Giftigkeit des Pestizides in vielen Fällen stark erhöhen können – um das 100- bis 200-Fache oder gar um das 800-Fache. Man sollte das tatsächliche Produkt aus Wirkstoff und Beistoffen testen, so wie es die Landwirte ja auch einsetzen. Denn es ist das ganze Produkt, das dann auch in unseren Lebensmitteln landet», sagt André Leu. Doch das sei offenbar zu aufwändig.
«Dann bedeutet das aber: Wir haben keine Daten, die die Sicherheit der verschiedenen Kombinationen belegen. Und dann müssen wir das Vorsorgeprinzip anwenden – also die Pestizide verbieten», sagt Biolandbau-Vertreter André Leu.
Jürg Zarn, Humantoxikologe beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, ist zuständig für die gesundheitliche Bewertung der Pestizide. Seine Stellungnahmen entscheiden mit, ob ein bestimmtes Produkt in der Schweiz auf den Markt kommt. «Die Beistoffe sind weit weniger gut abgeklärt als die Wirkstoffe selber. In dem Sinne ist das Produkt sicher nicht so gut geprüft wie der Wirkstoff alleine», gesteht er zu. Aber: «Pestizide gehören neben Medikamenten zu den am besten abgeklärten Stoffen. Es sind nur ein paar 100 Stoffe überhaupt auf dem Markt, und die sind toxikologisch gut abgeklärt», sagt Jürg Zarn.
Und: Die Sicherheitsauflagen würden ständig nach oben geschraubt, die Testmethoden verfeinert. So werden die toxischen Effekte an mehreren unterschiedlichen Tierarten untersucht, aber auch mit bestimmten Zellkulturen. Ein Restrisiko lässt sich nicht ausschliessen und doch – so ist der Toxikologe vom Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen überzeugt – sind unsere Pestizide nach Stand des heutigen Wissens, so sicher wie möglich.
Nicht umfassend erforscht: hormonaktive Pestizide
So sicher wie möglich – aber unbedenklich? Eine bestimmte Stoffgruppe beschäftigt die moderne Toxikologie seit DTT besonders: hormonaktive Stoffe – also Chemikalien, die das Hormonsystem von Mensch und Tier aus dem Gleichgewicht bringen. Die vermuteten Folgen davon: verminderte Fruchtbarkeit, Organschäden und Krebs.
Walter Lichtensteiger und Margret Schlumpf sind eigentlich pensioniert, doch zusammen betreiben sie ein toxikologisches Beratungs- und Forschungsbüro nahe ihrer alten Wirkungsstätten – der Universität Zürich. Das Hauptproblem sei, dass es zu wenig Daten gibt über die tatsächliche längerfristige Belastung der Menschen mit solch hormonaktiven Pestiziden durch die Nahrung oder die Umwelt. Es brauche daher dringend mehr Blut- und Urinanalysen, sagen die beiden Toxikologen.
Solche Untersuchungen sind auch deshalb besonders schwierig, weil sich mögliche Effekte vielleicht erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten zeigen. Wieviele der Stoffe aus der Nahrung in den Körper gelangen und wie sie dort wirken, hänge von vielen Faktoren ab, sagt Margret Schlumpf. Die besonders gefährdeten Kinder und Schwangeren sind kaum untersucht, doch hier kann es besonders leicht zu permanenten, irreparablen Schäden im Organismus kommen.
Die Dosis macht das Gift
Hormonaktive Pestizide machen nur einen Teil aller potentiellen Umwelthormone aus, geben die beiden Wissenschaftler zu bedenken. Im Menschen entfalten sie ihre mögliche Wirkung als Teil eines hormonaktiven Chemikalienmixes – zusammen mit Plastik-Weichmachern, Flammschutzmitteln oder Stoffen aus Kosmetika. «Ich mache mir sehr grosse Sorgen, weil wir viele Daten nicht haben», sagt Margret Schlumpf. «Die Pestizide sind nur ein Teil des Problems, aber eines, das sich angehen und lösen lässt», pflichtet Walter Lichtensteiger bei – lösen, indem die Bauern weniger Pestizide benutzen.
Wieviel Restrisiko ist für die Gesellschaft zumutbar? Das ist die Grundsatzfrage bei den chemischen Pestiziden. Dank gestiegener Sicherheitsauflagen sind heute weniger Wirkstoffe auf dem Markt. Doch wie die Behörden im Detail pro oder contra ein Pestizid entscheiden, ist für Aussenstehende nicht nachvollziehbar, weil die Industriedaten vertraulich sind – ebenso wie die internen Berichte der Behörden.
Mehr Transparenz hätte einen grossen Vorteil: Die Arbeit der Behörden wäre kontrollierbarer und das würde das Vertrauen in ihre Arbeit stärken. Heute spielt sich vieles hinter verschlossenen Türen ab. Das schürt Misstrauen – und Angst. Angst vor Pestizidrückständen im Essen, ob diese nun gerechtfertigt ist oder nicht.