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Tuberkulose - die vergessene Pandemie
Aus Wissenschaftsmagazin vom 25.03.2023. Bild: Keystone / Gregor Fischer
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Public Health Tuberkulose – die vergessene Pandemie

Weltweit erkranken über zehn Millionen Menschen jährlich an Tuberkulose, für 1,6 Millionen endet die Infektion tödlich. Das hat nicht nur medizinische Gründe.

Eigentlich ist die Lungenkrankheit Tuberkulose behandelbar: Gegen die Infektion mit dem Mycobacterium tuberculosis gibt es eine Standardbehandlung mit vier Antibiotika, welche die Bakterien bekämpfen; vorausgesetzt, die Patienten nehmen die Medikamente über sechs Monate konsequent ein.

Doch während Corona geriet Tuberkulose in vielen Ländern aus dem Blickfeld. Die Folge: Rund ein Drittel der Fälle wurde nicht diagnostiziert, stellt die Weltgesundheitsorganisation WHO fest. Zudem wurden gerade in den ärmeren Ländern viele Ressourcen, die zur Bekämpfung von Tuberkulose vorgesehen waren, für Covid-19 verwendet. Die WHO ist weit entfernt von ihrem Ziel, die Tuberkulose bis 2030 drastisch einzudämmen.

Ein Stigma der Armut

Ein wichtiger Faktor ist die Armut. Früher waren Europa und auch die Schweiz stark betroffen – heute sind es vor allem die ärmeren Länder des globalen Südens wie Indonesien, Pakistan oder manche Staaten Afrikas. Am meisten Tuberkulose-Fälle verzeichnet Indien.

Eng verbunden mit der Armut sei das Stigma durch Tuberkulose, sagt Christian Auer. Der Spezialist vom schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) hat Erkrankte auf den Philippinen so erlebt: «Sie fühlen sich durch die Armut entwertet, und die Tuberkulose beschämt sie zusätzlich», sagt er. «Entsprechend lange dauert es, bis Betroffene ein Gesundheitszentrum aufsuchen und um Hilfe bitten.»

Solche Menschen seien bei der Diagnose oft sehr krank. Selbst wenn sie geheilt werden, bleiben sie anfällig für Reinfektionen, die oft tödlich enden. Public-Health-Spezialisten wie Christian Auer kommen zum Schluss: Das effektivste Mittel gegen TB wäre, die Armut zu lindern.

Tuberkulose in der Schweiz

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In der Schweiz war Tuberkulose um die vorige Jahrhundertwende stark verbreitet. Im Jahr 1900 etwa erkrankten hierzulande 12'000 Menschen an TB, die Rate lag somit bei fast vier von 1000 Einwohnern.

Anfang des 20. Jahrhunderts investierten dann vor allem die Städte in bessere Hygiene, auch die Wohnverhältnisse verbesserten sich. Allein durch solche Massnahmen ging TB zurück.

Mit dem Einsatz des ersten Antibiotikums Streptomycin begann sie ab den 1950er-Jahren fast gänzlich zu verschwinden. Der Entdecker von Streptomycin, Selman Waksman, erhielt dafür 1952 den Nobelpreis.

Auch medizinisch gibt es Möglichkeiten, effektiver gegen Tuberkulose vorzugehen. Zum Beispiel gegen Resistenzen, also Bakterienstämme, die unempfindlich sind für Antibiotika. Weltweit betreffen diese zwar nur drei Prozent der TB-Fälle, aber an manchen Orten ist das Problem gravierend. Vor allem Länder der ehemaligen Sowjetunion wie Georgien oder Kirgistan sind Hotspots. Die Mechanismen solcher Resistenzen besser zu verstehen, würde in diesen Ländern dazu beitragen, die Krankheitslast durch TB einzudämmen.

Resistenz-Forschung am Swiss TPH

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Eine Gruppe um den Infektiologen Sébastien Gagneux erforscht am schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut die Mechanismen von multiresistenten TB-Bakterien. In der Regel bezahlen Bakterien einen «Preis» für ihre Resistenz gegen Antibiotika: «Sie können sich schlechter übertragen», erklärt Gagneux. Der Forscher nennt dies die sogenannten «Fitness-Kosten der Resistenz».

Nun hat seine Gruppe untersucht, ob auch TB-Bakterien diese Fitness-Kosten zahlen – und dabei eine Überraschung erlebt: «Je nach TB-Variante haben wir beides erlebt: resistente Bakterien, die sich tatsächlich schlechter übertragen, und andere resistente Bakterien, die genauso ansteckend sind wie die nicht-resistenten», sagt Sébastien Gagneux. Was das epidemiologisch bedeutet, könne man nicht sagen. Dafür seien die verschiedenen TB-Varianten noch zu wenig erforscht.

Auch bei einer verbesserten Diagnostik sieht die WHO viel Potenzial: Indem man nicht nur möglichst alle Krankheitsfälle erfasst, sondern auch Übertragungsketten und Übertragungsmuster identifiziert. Dafür stehen der Wissenschaft etliche neue Techniken zur Verfügung, darunter das «Whole Genome Sequencing» ­– die Analyse des gesamten Virusgenoms, wie man dies seit Covid-19 gut kennt. Das habe auch die epidemiologische Erfassung von TB revolutioniert, sind sich Forschende einig.

Schwierige Suche nach neuem Impfstoff

Ebenso wichtig ist die Prävention. Die Forschung sucht händeringend nach einem neuen Impfstoff. Zwar gibt es gegen TB die seit 100 Jahren eingesetzte BCG-Impfung (Bacillus Calmette-Guérin), doch diese wird nur an Neugeborene in Risikoländern verimpft.

Eine neue, wirksame TB-Impfung für Erwachsene zu entwickeln, ist nach Einschätzung von Fachleuten herausfordernd. «Es wird zwar investiert und experimentiert, auch mit der mRNA-Technik wie bei Corona», sagt Sébastien Gagneux vom Swiss TPH. «Aber ein TB-Bakterium ist sehr viel komplexer als Sars-CoV-2.» Bis zu einem neuen TB-Impfstoff sei es noch ein langer Weg.

Wissenschaftsmagazin, 25.03.2023, 12:40 Uhr

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