Frisch gebackene Eltern sind vollauf beschäftigt, aber auch gerne mal völlig überfordert. Und dann kommt auch noch der Kinderarzt und sagt: Die ersten Impfungen wären dran. Was jetzt?
Diese Frage ist Kern des Films «Eingeimpft» von David Sieveking. Der Filmemacher dokumentiert, wie es ihm selbst ergeht.
Denn die Impfdebatte in seiner kleinen, wachsenden Familie läuft alles andere als rund. Die Mutter seiner Kinder ist skeptisch und hochemotional, er dagegen würde gerne impfen. So beginnt die Suche nach einem Kompromiss, die Sieveking filmisch nachzeichnet.
Viel Raum für dubiose Thesen
Das Ergebnis kommt diese Woche in die Schweizer Kinos. Aber schon jetzt lässt der Film – vor allem in Deutschland – die Gemüter hochkochen.
Der Vorwurf: Der Film stelle dubiose Theorien über Impfschäden den harten Fakten aus der Medizin unkommentiert gegenüber und er gebe dem Dubiosen viel zu viel Gewicht. Die Angst der meisten Kommentatoren: der Film könnte Impfskeptiker stärken und unsichere Eltern noch unsicherer machen.
Den Vorwurf muss sich der Filmemacher gefallen lassen. Bleibt die Frage: Nährt dieser Film tatsächlich Zweifel? Und wenn ja: was hilft dagegen?
Die Realität in der Schweiz
Die Impfraten steigen hierzulande, langsam aber stetig. In einigen Altersgruppen liegen sie inzwischen bei rund 95 Prozent, so hoch wie Experten sie sich wünschen.
In der Gesamtbevölkerung sind sie bei Masern zum Beispiel immerhin so hoch, dass die ansteckende Infektionskrankheit in der Schweiz schon seit fast zehn Jahren keinen wirklich grossen Ausbruch mehr ausgelöst haben. Das klingt gut.
Doch im Alltag von Kinderärzten spielt Impfskepsis immer noch eine grosse Rolle. Christoph Berger, Kinderarzt am Kinderspital Zürich und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, sagt, wenn er im Sprechzimmer im Impfgespräch auf Unsicherheiten stosse, zähle er keine Fakten auf, sondern stellt die Frage: «Woher kommt dieses Zögern, dieser Zweifel?»
Keine Angst vor Krankheiten
Die Antworten, die er von besorgten Eltern hört, drehen sich meist um mögliche Impfschäden. Die Risiken der Krankheiten, gegen die geimpft werden soll, kämen kaum zur Sprache.
«Die Krankheiten sind nicht mehr präsent, also werden sie auch nicht mehr als Gefahr wahrgenommen», sagt Christoph Berger. Es fehle das Erfahrungswissen. Und dieses lässt sich nicht simulieren.
Es lässt sich allenfalls ersetzen, allerdings nur im persönlichen Gespräch. «Ich versuche immer, die Diskussion auf die individuelle Ebene herunterzubrechen», sagt Berger.
Nur so könne er versuchen, die abstrakten Fakten greifbarer zu machen: dass etwa bei 10'000 Masernkranken ein bis drei der Erkrankten sterben, und mindestens noch einmal so viele eine Hirnhautentzündung entwickeln und Impfschäden im Verhältnis dazu extrem selten sind.
Die Freiheit des Einzelnen
Die endgültige Entscheidung müsse, auch wenn das schwer auszuhalten sei, jedem selbst überlassen bleiben.
Argumente, dass die Bevölkerung insgesamt geschützt werden müsse, dass man andere anstecken und in Gefahr bringen könne, helfen kaum weiter, sagt Berger. «Sobald man ‹die Anderen› ins Spiel bringt, sobald so ein Gruppendruck aufkommt, wird es emotional. Das polarisiert, und führt nicht zum Ziel.»
Mühsam sei, dass manche Thesen, wie die, dass Autismus und Impfen zusammenhängen könnten, immer noch und immer wieder auftauchten, obwohl sie inzwischen längst mit viel Aufwand widerlegt worden sind.
Biotop für krude Thesen
Das Thema Impfen ist nach wie vor das perfekte Biotop nicht nur für Skepsis und Ängste, sondern – leider – auch für Verschwörungstheorien.
Wie wirkt nun in diesem Kontext der neue Film? Sät er Zweifel? Leider ja.
Obwohl David Sieveking im Grunde nur eine persönliche Entscheidung trifft, hat er eines übersehen: sobald er diese Entscheidung und den Weg dorthin quasi exemplarisch öffentlich macht, ist sie eben nicht mehr bloss persönlich. Sie wirkt – ob er will oder nicht – beispielhaft.
Kinostart: 20. September 2018