«Der Schlaf ist wie ein kleines Vögelchen, das auf der Hand sitzt. Will man es einfangen, fliegt es davon», sagt Michael Ecker. «Bleibt man aber ruhig, bleibt das Vögelchen sitzen. Dann kann man einschlafen.»
Der 45-jährige IT-Spezialist befindet sich seit knapp zwei Wochen in stationärer Behandlung in der Schlafklinik Brunnen, Schwyz. Weitere vier Wochen stehen an. Doch bereits jetzt gehe es etwas besser mit dem Schlafen, sagt er.
Eckers Leidensgeschichte ist lang: Er hat eine angeborene Schilddrüsenunterfunktion, die ihn tagsüber müde und schläfrig macht. Das wird von den Ärzten erkannt und mit Medikamenten behandelt. Doch Michael Ecker bleibt schläfrig, ist ständig müde und nickt bei der Arbeit ein. Er wird dünnhäutig und reizbar.
Irgendwann wird es unerträglich. Er kann seiner Arbeit als IT-Berater nicht mehr richtig nachgehen. Die Ärzte wissen keinen Rat. Michael Ecker meint, ein Burn-out zu haben und kündigt seinen Job. Doch trotz Auszeit wird es nicht besser. Er wird depressiv.
Diagnose Schlafapnoe
Durch Zufall entdeckt er den wahren Grund seiner Müdigkeit: Seine Freundin rät ihm, wegen seines Schnarchens eine Abklärung im Schlaflabor zu machen. Prompt stellen die Ärzte fest: Michael Ecker leidet seit Jahren an einer zentralen Schlafapnoe.
Bei dieser neurologischen Störung sendet das Gehirn von Zeit zu Zeit keinen Atemimpuls an das Zwerchfell. Bis zu 60 Atemaussetzer pro Stunde zählt man bei Michael Ecker im Schlaflabor.
Diese häufigen Aussetzer in der Nacht sind der Grund für seine ständige Schläfrigkeit tagsüber. Viele Menschen sind sich ihrer nächtlichen Atemaussetzer gar nicht bewusst.
Nur vermeintliches Durchschlafen
Der Neurologe und Schlafspezialist Sebastian Zaremba leitet die Untersuchungen im Schlaflabor der Seeklinik Brunnen. Er erklärt den Mechanismus der Schlafapnoe: «Wenn ein Atemaussetzer eintritt, fällt der Sauerstoffgehalt im Blut ab. Das führt zu einer Stressreaktion im Körper, das Gehirn wacht auf. Dann setzt die Atmung wieder ein. Nach einer Weile beruhigt sich der Körper, das Gehirn stellt erneut auf Schlafmodus – bis zum nächsten Atemaussetzer.»
Das Tückische: Betroffene registrieren das ständige Erwachen des Gehirns in der Nacht nicht bewusst. «Man meint, man hätte durchgeschlafen und versteht nicht, weshalb man den ganzen Tag so müde ist», sagt Sebastian Zaremba.
Rund 20 Prozent der Menschen in der Schweiz würden an Schlafapnoe leiden. Aber: «Nur etwa die Hälfte davon ist sich dessen bewusst.»
Psychisches Leiden
Die chronische Müdigkeit kann irgendwann auf die Psyche schlagen, und wie im Fall von Michael Ecker zu einer Depression führen. Betroffene Menschen geben sich selbst die Schuld, dass sie die erforderte Leistung im Job nicht mehr bringen können.
Die daraus resultierenden psychischen Probleme wiederum verhindern einen normalen Schlafrhythmus. Ein Teufelskreis.
Als Therapie gegen seine Schlafapnoe bekommt Ecker eine sogenannte CPAP-Maske: Diese verhindert die nächtlichen Atemaussetzer mechanisch. Doch das reicht nicht. Durch seine lange Leidensgeschichte hat der 45-Jährige verlernt, entspannt ein- und durchzuschlafen. Dies soll er nun in der stationären Behandlung in der Schlafklinik Brunnen wieder lernen.
Doch ab wann spricht man von Schlafstörungen? Wann sollte man eine Ärztin konsultieren?
«Ein paar Nächte, in denen man schlecht schläft, etwa vor einer grossen Prüfung oder vor der Hochzeit, sind keine Schlafstörungen», erklärt Schlafspezialist Sebastian Zaremba. «Zu uns kommen Menschen, die zwei, drei Monate am Stück nächtelang wach liegen.»
Tagesstruktur wiederherstellen
Die Klinik liegt auf einer Anhöhe am Ufer des Vierwaldstättersees und erinnert ein bisschen an ein Hotel. In 63 Einzelzimmern werden Menschen mit Depressionen, Burn-outs und Schlafstörungen behandelt.
«Diese drei Krankheitsbilder fliessen oft ineinander», sagt Eva Birrer. Sie ist Ärztin und Psychologin und leitet die Abteilung Schlafmedizin. Die Nachfrage sei gross, die Betten zu 98 Prozent ausgebucht.
Beim stationären Aufenthalt in der Schlafklinik in Brunnen geht es darum, eine Struktur in den Tag zu bringen. Für Michael Ecker heisst das: Morgensport, Einzel- oder Gruppengespräche, Achtsamkeitstraining, Musik- oder Maltherapie, Akupunktur und Aromatherapie. Es geht um die Reaktivierung anderer Interessen, jenseits der Beschäftigung mit dem Schlaf.
Über 80 verschiedene Schlafstörungen
«Eine Insomnie ist vor allem ein Tagproblem», sagt Eva Birrer. Deshalb ist es wichtig, dass die Patientinnen und Patienten keine Nickerchen am Tag machen und erst zu Bett gehen, wenn der Schlafdruck genug gross ist. Das nennt sich Bettzeitrestriktion. «Zwei bis drei Stunden vor der Bettzeit sollten sportliche Aktivitäten und digitaler Medienkonsum abgeschlossen sein, damit man genug Zeit hat, um runterzufahren.»
Heute hat etwa ein Viertel bis ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer Probleme mit dem Schlaf. Das Ärzteteam um Eva Birrer behandelt in der Schlafklinik entsprechend über 80 verschiedene Schlafstörungen. Die Schlafapnoe wie bei Michael Ecker gehört zu den häufigsten körperlichen Ursachen.
Bei den psychischen Ursachen ist es vor allem der Stress am Arbeitsplatz. «Diese Menschen können oft mit dem Druck der modernen Leistungsgesellschaft und mit den Verlockungen der digitalen Welt nicht umgehen», sagt Eva Birrer.
Professionelle Hilfe suchen
So etwa eine andere Schlafpatientin, die anonym bleiben möchte und hier Manuela Müller genannt sei. Sie ist 47 Jahre alt, verheiratet, Mutter einer Tochter und arbeitet Vollzeit als Pharmaberaterin im Aussendienst.
Schon als Kind hat sie manchmal vor dem Schlafengehen zur Beruhigung Baldriantropfen bekommen. Doch in den letzten Jahren sind die Schwierigkeiten beim Einschlafen immer schlimmer geworden.
Auf eigene Faust versucht Manuela Müller alles Mögliche: Entspannungsübungen, Meditation, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Schlafmedikamente. Vergeblich.
Als sie im letzten Sommer nur noch wenige Stunden pro Nacht schläft, sucht sie professionelle Hilfe in der Schlafklinik in Brunnen. Seither trifft sie sich regelmässig mit Eva Birrer zu Gesprächen.
Doppelbelastung vs. Perfektionismus
Schnell wird deutlich: Manuela Müllers Probleme mit dem Einschlafen haben mit ihrer Doppelbelastung auf der Arbeit und zu Hause zu tun. Abendessen kochen für die Familie, danach noch ein paar Mails erledigen und bis spät im Homeoffice-Büro vor dem Bildschirm sitzen. Manuela Müller sagt von sich selbst, sie sei eine Perfektionistin.
Für Schlafexpertin Eva Birrer ist das nicht verwunderlich: «Solche psychosomatischen Schlafstörungen kommen häufiger bei Frauen vor. Auch Menschen, die immer alles perfekt machen wollen, entwickeln eher Schlafstörungen.»
Sie seien frustriert, wenn der Schlaf ihrem Perfektionismus nicht gehorche. «Dieser Frust lässt sie dann noch schlechter einschlafen», so Birrer. «Auch hier ein Teufelskreis.»
Es gibt Hoffnung
Auch stressbedingte Schlafstörungen sind gut behandelbar. Die Erfolgsquote liegt nach etwa einem Jahr Therapie bei rund 70 Prozent.
«Bei den restlichen 30 Prozent darf man die Flinte aber nicht ins Korn werfen. Bei gewissen Menschen dauert eine solche Behandlung einfach länger», sagt Schlafspezialist Sebastian Zaremba.
Schlafstörungen enttabuisieren
Bei Manuela Müller und Michael Ecker spricht die Behandlung bisher gut an. Vor allem der Austausch mit den anderen Betroffenen in der Klinik helfe ihm, sagt Michael Ecker. Er spricht bewusst mit vollem Namen über seine Schlafstörung, da er mithelfen möchte, dieses Thema zu enttabuisieren.
«Wenn ich mir das Bein breche beim Fussballspielen, lasse ich das auch behandeln und den Gips sogar unterschreiben», sagt Ecker. Man müsse viel mehr über Schlafstörungen reden.
«Depressionen, Burn-outs oder auch Unfälle im Verkehr können alles Folgen von Schlafproblemen sein. Es wäre schön, wenn mehr Leute dafür ein Bewusstsein entwickeln und rechtzeitig Hilfe in Anspruch nehmen», so Ecker.
Selbstverständnis und Gelassenheit
So ein selbstverständlicher Umgang mit den eigenen Schlafstörungen, wie ihn Ecker pflegt, wird den Patientinnen und Patienten in der Seeklinik in Brunnen vermittelt. Gelassenheit sei der grosse Schlüssel zu einem gesunden Schlaf, sagt Eva Birrer.
Wenn die Patienten lernen, auch schlechte Nächte zu akzeptieren, eine gewisse Gelassenheit gegenüber ihrer Insomnie entwickeln, dann weiss die Schlafspezialistin: «Wir sind auf dem richtigen Weg.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 18.02.20, 9:02 Uhr