Die Ingenieurin Adriana Velazquez koordiniert bei der Weltgesundheitsorganisation WHO den Bereich Medizinalgeräte. Sie wirkt alles andere als rührselig, aber wenn man mit ihr über ihre Arbeit spricht, kann es passieren, dass ihr die Tränen kommen – so schlimm sei die Situation in armen Ländern: «Jeden Tag sterben 800 gebärende Frauen, weil die Ärzte eine Krankheit nicht erkannt haben oder bei einer Notlage nicht eingreifen können.» Es fehlt an Diagnose- und Behandlungsgeräten, an Ärzten, Pflegenden, Verbrauchsmaterial. Dass manche Spitäler und Organisationen gebrauchte Geräte spenden, verbessert die Situation kaum, klagt Adriana Velazquez: «Die Spender wissen oft nicht, was gebraucht wird.»
Manche schicken Geräte, die nicht ans Stromnetz im Empfängerland passen, oder die Sprache der Gerätesoftware ist die Falsche – diese Spenden stehen nutzlos herum, weil weder Geld noch Knowhow da ist, um sie anzupassen.
Aber viele Spender kümmere das nicht, es gehe ihnen um die Publicity. «Sie können sagen: ‹Wir haben Geräte für Millionen von Dollars gespendet!› – aber in Wahrheit haben sie Probleme gespendet, wenn die Geräte unpassend sind.»
Erst wissen, was wirklich benötigt wird
Rund zwei Drittel aller Menschen auf der Welt haben keinen Zugang zu einem Röntgengerät. Einem Gerät, das in unseren Spitälern so alltäglich wie wichtig ist: Es wird gebraucht nach Unfällen, beim Verdacht auf eine Lungenentzündung und vielem mehr.
Darum kam der Gründer des Projekts der ETH Lausanne auf die Idee, ein Röntgengerät speziell für arme Länder zu konstruieren. Dafür brauche es eine ganz neue Art der Entwicklung, sagt Klaus Schönenberger: «Man kann nicht einfach ins Labor gehen und anfangen. Man muss zuerst nach Afrika reisen und die Leute dort ins Projekt einbinden.» Nur so erfahre man, was wirklich gebraucht wird.
Extreme Verhältnisse
Der Röntgenarzt Samuel Nko'o Amvene ist einer der Wissenschaftler und Ingenieure aus Afrika, die am Projekt mitarbeiten. Er ist Chef-Radiologe am Unispital in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Er erzählt, mit welchen Problemen ein Radiologe in Kamerun täglich kämpft: Meistens seien die Geräte defekt. Defekt, weil sie gebraucht gekauft wurden und am Ende ihrer Lebensdauer sind. Defekt, weil sie nicht für die rauen Bedingungen gemacht worden sind: «Das feuchtheisse Klima der Tropen setzt den Geräten stark zu.»
Am schlimmsten aber sei der häufige Sturzregen: «In Kamerun regnet es viel heftiger als in der Schweiz», erzählt Amvene. «Droht ein Sturzregen, werden sofort alle Geräte ausgeschaltet – selbst bei Notfällen.» Denn meist fällt bei schweren Niederschlägen der Strom aus – und wenn er wieder eingeschaltet wird, entsteht oft eine Überspannung: «Das grillt die Geräte förmlich; unser Spital hat so schon einige Geräte verloren.»
Das neue Röntgengerät aus Lausanne ist gegen solche Pannen gewappnet, sagt Projektleiter Klaus Schönenberger. Der diese Woche vorgestellte Prototyp sieht aus, wie ein normales Röntgengerät, aber sein Innenleben ist anders: Es ist gegen Hitze und Feuchtigkeit geschützt, es hält kurzzeitige Spannungsspitzen aus, und es kann dank Batterie auch ohne Strom eine gewisse Zeit lang weiterröntgen.
Radiologe Amvene freut sich auch, dass das neue Modell die Bilder digital aufzeichnet: «Auf den alten Filmaufnahmen mussten wir oft die Krankheit fast erraten, weil die Bildqualität so schlecht war.» Das werde nun anders. Ein weiterer Vorteil der digitalen Aufzeichnung: Man kann die Bilder sofort übers Internet aus der Provinz zum Spezialisten in die Uniklinik schicken.
Sparen, wo es Sinn macht
In Kamerun werden pro Jahr kaum zehn Radiologen ausgebildet, so gibt es einen grossen Mangel an Spezialisten. Aber geeignete Internetleitungen werden häufiger.
Zu all diesen Vorteilen gesellt sich der Preis: Er ist zehnmal niedriger als bei herkömmlichen Anlagen. Das sei nur möglich gewesen, weil sein Forscher-Konsortium alles von Grund auf neu entwickelt habe, sagt Klaus Schönenberger. Ein Beispiel: das Stativ, um das Röntgengerät in alle Richtungen zu bewegen, hat keine Motoren wie üblich. Alles wird manuell eingestellt. So werden nicht nur die Kosten für die Motoren eingespart – auch die Wartungskosten liegen deutlich tiefer, weil die Motoren oft ausfallen.
Kosten sparen will Klaus Schönenberger auch durch die Art des Unternehmens, das das neue Röntgengerät herstellt: Er will ein so genanntes «soziales Unternehmen» gründen. Das sind Unternehmen, die den sozialen Nutzen höher gewichten als den Profit. Er ist damit Teil eines Trends: Weltweit gibt es einige Organisationen, die mit ähnlichen Mitteln versuchen, das Problem ungeeigneter und zu teurer Geräte für die Spitäler im Süden zu lösen.
Noch steht diese Bewegung am Anfang, aber Adriana Velazquez von der WHO ist hoffnungsvoll: «Wir müssen junge Wissenschaftler für solche Projekte gewinnen, aber auch die Unternehmer.» Denn die Ärmsten und die Kränksten verdienten nicht das Schlechteste, sagt Adriana Velazquez, sondern das Beste.