Eine gemütliche Runde mit der Familie kann für Sara Fröhlich schnell zum Albtraum werden. Denn gewisse, ganz alltägliche Geräusche treiben sie zur Weissglut – zum Beispiel Essens- oder Trinkgeräusche oder auch wenn jemand mit dem Kugelschreiber klickt oder eine Wasserflasche aufschraubt.
«Der Puls geht hoch, ich beginne zu schwitzen, kann auf nichts mehr anderes achten», sagt Sara Fröhlich. Weghören funktioniere leider nicht. «Und dann werde ich wütend. Manchmal möchte ich die Person, die das Geräusch verursacht, sogar schlagen, so schlimm kann es werden.»
Begonnen hat es mit diesem Hass auf ganz alltägliche Geräusche in der Pubertät. Sara Fröhlichs Umfeld reagierte anfangs mit wenig Verständnis und hoffte, dass es bald vorbeigehen würde. Doch das tat es nicht. Es schränkte Sara Fröhlich in ihrem Alltag manchmal stark ein.
Keine anerkannte Störung
Da war es immerhin eine Erleichterung, als sie im Internet auf den Begriff «Misophonie» stiess – und merkte, dass sie mit ihrem Hass nicht allein war. «Zu wissen, dass es anderen ähnlich geht, war eine grosse Erleichterung. Bei manchen ist es noch viel schlimmer als bei mir, so dass sie wirklich keine Kontakte und keine familiären Situationen ertragen können.»
Eine anerkannte Störung ist Misophonie allerdings nicht. Viele Fachleute hätten keine Ahnung davon, beklagen sich Betroffene in der Schweiz und fühlen sich entsprechend wenig ernst genommen.
Anders in Holland: Am Academisch Medisch Centrum in Amsterdam hat das Team um den Psychiater Damiaan Denys zusammen mit Misophonikern eine massgeschneiderte Therapie entwickelt und in einer ersten kleinen Pilotstudie getestet. Fazit: Rund die Hälfte der Patienten profitierten von der Therapie. «Misophonie ist behandelbar», sagt Damiaan Denys. «Und: Es ist nicht sehr kompliziert. Wenn man ein paar Techniken aus der Verhaltenstherapie kombiniert, kann man schon vielen helfen. Nicht allen, aber vielen.»
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Einfache Techniken helfen
Eine Möglichkeit besteht darin, die Aufmerksamkeit vom Geräusch wegzulenken, indem man eine komplizierte Aufgabe löst – mit geschlossenen Augen einen Hindernisparcours bewältigen zum Beispiel – während das Geräusch ertönt. Eine andere Technik: Etwas Positives mit dem Geräusch in Verbindung bringen. Der Biss in einen Apfel zum Beispiel klingt verblüffend ähnlich wie Schritte im Wald. Auch Entspannungsübungen gehören zur Therapie.
Die Misophonikerin Tineke Winterberg hat an der Studie teilgenommen. Vorher hatte sie Angst mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen. «Heute nicht mehr», sagt Tineke Winterberg. «Die Therapie hat mir sehr geholfen. Sie hat mein Leben verändert. Ich bin zwar nicht geheilt, aber mein Leben ist viel besser.»
Sara Fröhlich hingegen kämpft trotz eines Versuchs mit Hypnosetherapie noch immer mit ihrer Misophonie. In der Schweiz wird die Amsterdamer Therapie bisher nicht angeboten.