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Mehr Bewegung, aber wie?
Aus Puls vom 23.05.2022.
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Subtile Bewegungsförderung So kommen Couch-Potatoes auf die Beine

Mit dem Mahnfinger lassen sich Bewegungsmuffel nicht zu mehr Aktivität bewegen. Deshalb versuchen immer mehr Gemeinden, den öffentlichen Raum mit baulichen Massnahmen bewegungsfreundlicher zu gestalten.

Haben Sie zuletzt den Lift oder die Treppe genommen? Wer sich bei der Frage ertappt fühlt, ist mit dem schlechten Gewissen nicht allein. Jede vierte Person in der Schweiz bewegt sich zu wenig – mit absehbaren Folgen für die Gesundheit.

Wer sind die Couch-Potatoes?

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Wer steckt hinter den 25 Prozent Couch-Potatoes, die sich gemäss der Befragung Sport Schweiz 2020 mit ausreichend Bewegung schwertun? «Den» Prototypen gibt es nicht. Sie sind auf alle Altersgruppen verteilt, das Geschlecht macht keinen grossen Unterschied, und sie sind sowohl in der Stadt als auch auf dem Land zu Hause.

Es sind zum Beispiel Jugendliche mit einer stark zunehmenden Mediennutzung. Es sind auch gestresste Mittvierziger mit einem fordernden Beruf oder Doppelbelastung. Und es sind verwitwete Rentnerinnen und Rentner mit fehlenden Kontakten oder leichten Gebrechen.

Einen Unterschied gibt es jedoch: Wer einen höheren Bildungsabschluss und ein höheres Haushaltseinkommen hat, bewegt sich generell mehr.

In Befragungen geben Bewegungsmuffel folgende Gründe für ihre Inaktivität an:

  • Zeitmangel
  • Zu müde für Sport
  • Fehlende Lust
  • Körperliche Einschränkung
  • Andere Interessen

Faul sein ist ein Urinstinkt

«Faul sein liegt in unseren Genen», ist Sabina Ruff überzeugt. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Expertin für öffentliche Gesundheit. Seit 20 Jahren ist sie in der Bewegungsförderung tätig. In der Geschichte hätten wir Menschen haushälterisch mit unseren Energiereserven umgehen müssen – Nahrung sei nicht im Überfluss vorhanden gewesen. Der Instinkt half uns damals, unnötige körperliche Aktivitäten zu vermeiden. Denn wenn Nahrungsmittel knapp sind, spart dies Energie und sichert so das Überleben.

Ganz anders heute. In unserer Überflussgesellschaft müssten wir körperlich aktiver sein, um gesund zu bleiben.

Seit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert lassen wir viele Tätigkeiten von Maschinen erledigen, viele Berufe bedürfen keines grossen körperlichen Einsatzes mehr. Gleichzeitig ist Nahrung in Westeuropa immer und überall vorhanden, unser Essen können wir heute sogar nach Hause bestellen. Dieses Missverhältnis in der Energiebilanz müssen wir deshalb ausgleichen – mit ausreichend Bewegung.

Bewegung heisst nicht Sport

«Es muss aber nicht Sport sein», relativiert die 60-jährige Sabina Ruff. Wer Alltagsbewegung clever in den Tag integriert, schaffe es auch auf eine genügende Menge.

Zum Beispiel, indem man statt des Lifts die Treppe nimmt. Indem man am Mittag nicht in der Kantine sitzt, sondern sich draussen an einem Imbissstand verpflegt und gleich noch einen Spaziergang macht. Oder indem man auf dem Heimweg eine Busstation früher aussteigt und den Rest zu Fuss geht.

Wie viel Bewegung muss es sein?

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Bewegung ist wichtig für einen fitten Körper und einen wachen Geist. Sie reduziert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, gewisse Krebsarten, Knochenschwund, Depression und Angststörungen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt, dass sich jährlich bis zu fünf Millionen Todesfälle verhindern liessen, wenn sich die Weltbevölkerung mehr bewegen würde.

Aber wie viel Bewegung muss es überhaupt sein, damit man einen positiven, gesundheitlichen Effekt hat?
Erwachsene müssten sich pro Woche mindestens 150 Minuten bei mittlerer Intensität bewegen. Darunter versteht man zum Beispiel zügiges Gehen, gemütliches Radfahren, aber auch Alltagsaktivitäten wie Gartenarbeit oder Schneeschaufeln. Bei dieser Intensität ist der Puls erhöht und man kommt spürbar ins Schnaufen, miteinander sprechen ist aber noch problemlos möglich.

Dieses Minimum an Aktivität kann auch mit der halben Menge an Bewegung, also 75 Minuten, aber hoher Intensität erreicht werden. Wer es also kürzer, aber intensiver mag, kann zum Beispiel Joggen, Streckenschwimmen, Fussball- oder Tennisspielen oder mit einem Fitnessgerät trainieren. Bei hoher Intensität sind nur noch kurze Wortwechsel möglich. Ein Mix aus Bewegung von mittlerer und hoher Intensität ist auch möglich. Als Faustregel gilt: Eine Minute bei hoher Intensität entspricht zwei Minuten bei mittlerer Intensität.

Idealerweise sollten die Bewegungs-Aktivitäten auf mehrere Tage verteilt werden. Jede geleistete Minute durch den Tag hindurch darf zusammengezählt werden.

  • Bei Kindern liegt die Empfehlung bei mindestens einer Stunde Bewegung pro Tag.
  • Mit zunehmendem Alter sollten noch Übungen speziell für die Kraft und die Beweglichkeit in die Aktivitäten integriert werden.

Wer sich gerne an einer Schrittzahl orientiert, kann – um körperlich fit zu bleiben – 7000 bis 8000 Schritte pro Tag anpeilen. Diese Marke reicht nach neusten Erkenntnissen für ein gesundes Herz-Kreislauf-System.

Die Bewegungs-Empfehlungen stammen von offiziellen Gesundheitsinstitutionen wie dem Bundesamt für Gesundheit BAG, der Weltgesundheitsorganisation WHO oder vom Center for Disease Control and Prevention CDC in den USA.

Je attraktiver das Umfeld sei, desto lieber und länger halte man sich darin auf, so Sabina Ruff.

Seit 20 Jahren ist sie in der Bewegungsförderung tätig. Ihre Mission ist es – auch im Auftrag vom Bundesamt für Gesundheit – Gemeinden, Städte und Kantone darauf aufmerksam zu machen, dass sie die Umwelt bewegungsfreundlicher gestalten müssen, damit die Menschen sich mehr bewegen. «Ich möchte nicht das Verhalten der Menschen ändern», sagt Sabina Ruff, «mich interessieren die Verhältnisse.»

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«An Orten, wo ich mich gerne aufhalte, kommt die Bewegung von allein»
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Ruff plädiert dafür, die Räume spannend oder überraschend zu gestalten, damit man sich gerne darin aufhält. Die Bewegung komme dann automatisch. «Das kann ein schöner Park sein, eine Allee oder eine Wiese mit grossem Tisch und Sitzbänken.» Am besten in unmittelbarer Nähe zum Wohngebiet. Nur so könne man die 25 Prozent Couch-Potatoes erreichen – indem man sie quasi unbemerkt zu mehr Bewegung im Alltag bringt.

Vorzeige-Gemeinde Lyss

Lyss im Kanton Bern gilt diesbezüglich als Vorzeige-Gemeinde. Rund um den Marktplatz gilt Tempo 30, es gibt üppige Flanierzonen mit Schatten spendenden Bäumen, diversen Sitzgelegenheiten und abgeschrägten Randsteinen für Menschen mit Bewegungseinschränkungen. Vereine mit regelmässigem Trainingsbetrieb dürfen die Sportanlagen der Gemeinde gratis benutzen.

Glanzstück der Gemeinde ist ein speziell konzipierter Spielplatz im Dorfzentrum. Mit verschiedenen Geschicklichkeits-Geräten lassen sich Wasserfontänen ansteuern. Gabriela Dali, Abteilungsleiterin des Departements Soziales und Gesellschaft, erklärt: «Auf dem ‹Hopp-la-Parcours› können sich Jung und Alt miteinander bewegen.» Das diene nicht nur der körperlichen Fitness, sondern verbinde gleich noch die Generationen besser miteinander.

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«Der Mensch ist ein Rudeltier»
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«Menschen ziehen Menschen an!»

Solche Objekte, die neugierig machen und dazu animieren, sie zu benutzen, seien wichtige Elemente im öffentlichen Raum, sagt Sabina Ruff.

Menschen zögen Menschen an, sagt sie: «Wenn Freunde oder Arbeitskollegen sich im öffentlichen Raum aufhalten und dort eine Partie Boule, Fussball oder Federball spielen oder auch nur auf der Wiese chillen, dann gehe ich da auch hin und bleibe nicht vor dem Fernseher sitzen.»

Mit Kunst die Menschen bewegen

Für ihre Mission arbeitet sie auch mit dem Bildhauer Norbert Roztocki zusammen.

Alles begann vor sieben Jahren mit der Idee Roztockis, Holzlatten aneinanderzureihen und auf einer Achse anzubringen. Die Form sollte an eine DNA-Doppelhelix erinnern.

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Kunst fördert Bewegung durch Begegnung
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Was als Kunstobjekt gedacht war, wandelte sich schliesslich zu einer Sitzbank, die Bewegung fördert. «Als mein Sohn Alexander die Holz-Skulptur in unserem Garten zum ersten Mal gesehen hat, ist er sofort auf das Objekt geklettert», erinnert sich Norbert Roztocki. Er habe dadurch realisiert, dass Funktionalität und Optik stimmen müssten, damit sich die Menschen gerne auf ein Objekt im öffentlichen Raum einliessen.

In Zofingen spazieren manche Bürgerin und mancher Bürger tatsächlich nur wegen der auffälligen Holz-Skulptur aus dem Haus in den Rosengarten.

An 37 Standorten in der Schweiz sind Roztockis bewegungsfördernde Kunstobjekte installiert. Es gibt Objekte speziell für Schulkinder und für betagte Menschen. Aber immer mit dem gleichen Ziel: Bewegung durch Begegnung schaffen.

Eine Norm für die Bewegungsfreundlichkeit

Um Couch-Potatoes auf die Beine zu bringen, müssen auch Gebäude neu gedacht werden. Als positives Beispiel nennt die Sozialwissenschaftlerin Sabina Ruff die kaskadenartige Treppe im Eingangsbereich der Zürcher Hochschule der Künste im Toni-Areal Zürich. «Die Treppe fällt sofort auf und es zieht einen sprichwörtlich hoch», schwärmt sie.

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Dank cleverer Bauplanung mehr Treppennutzer
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Weil das Gebäude natürlich auch barrierefrei sein muss, gibt es zwar auch einen Lift. Dieser wurde aber absichtlich ein bisschen versteckt platziert. So wählt nun die Mehrheit die augenfällige «Variante Treppe» – ausgetrickst durch clevere Bauplanung.

Trotz all dieser guten Ansätze gebe es noch viel Luft nach oben, so Ruff. Eine Idee für die Zukunft wäre zum Beispiel eine Art Norm, wie es sie etwa für die Lärmbelastung gibt. «Man könnte einer Stadt das Energiestadt-Label zum Beispiel nur dann geben, wenn sie auch bewegungsfreundlich ist», meint Ruff. Schliesslich habe dies wiederum einen Effekt auf den Energieverbrauch.

SRF 1, Puls, 23.05.2022, 21:05 Uhr

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