Hepatitis C ist eine stille, eine gefährliche Krankheit. Eine Krankheit, die vielfach erst nach Jahrzehnten ihr wahres Gesicht zeigt – dann, wenn die Leber so geschädigt ist, dass Symptome auftreten. In der Schweiz leiden circa 40'000 Menschen an chronischer Hepatitis C, die tatsächliche Zahl ist unbekannt. Rund ein Drittel von ihnen weiss nichts von seiner Infektion. Fast alle von ihnen könnte man heute heilen.
Die Betonung liegt auf «könnte»: 2014 wurde ein Medikament zugelassen, dass mit überschaubaren Nebenwirkungen binnen weniger Wochen 98 von 100 Patienten heilt – zum damals stolzen Preis von 100'000 Franken pro Patient. Deshalb erhielten es zunächst nur diejenigen als Kassenleistung, denen es bereits schlecht ging. Es folgten weitere wirksame Medikamente der gleichen Kategorie.
Heilungschance für alle
Der Erfolg war so durchschlagend, dass die Frage im Raum stand, ob solche Medikamente anderen Infizierten vorenthalten werden dürften. Bund und Pharma setzten sich an einen Tisch und kamen zu einer Einigung: Seit Oktober 2017 werden alle Hepatitis-C-Fälle mit den neuen Medikamenten behandelt, dafür kostet die Therapie «nur» noch rund 30'000 Franken.
Mit diesem Schritt rückt das Ziel, Hepatitis C in der Schweiz bis 2030 auszumerzen, in greifbare Nähe – wenn es nicht zwei Probleme gäbe, die am Ende beide auf ein Thema zurückgehen: das liebe Geld. Denn einerseits stellt sich die Frage, wie sich alle Infizierten finden lassen – wo doch viele nicht einmal von ihrer Infektion wissen. Und andererseits, ob es überhaupt zielführend ist, bis dato «gesunde» Infizierte zu therapieren.
Aufwändige Suche
Ein grosser Teil der Betroffenen, 60 bis 80 Prozent, kam mit dem Virus über intravenösen Drogenkonsum in Kontakt. Wenn diese Menschen in Drogensubstitutionsprogrammen sind, sind sie relativ leicht aufspürbar, test- und behandelbar. Leben sie aber mittlerweile clean in ganz normalen Verhältnissen, wird das schwierig.
Für sie und alle anderen wäre das Geburtsjahrgangs-Screening eine Option: Zwei Drittel der Infizierten sind zwischen 1950 und 1985 geboren. Weil das Virus und seine Übertragungswege erst 1989 entdeckt wurden, war bis dahin die Ansteckung über Blutkonserven jederzeit möglich. Auch in Arztpraxen und Spitalern, Tätowier- oder Pedikürstudios ging es weniger steril zu als heute. Genauso wenig war klar, dass Geschlechtsverkehr, insbesondere zwischen Männern, ein Einfallstor für das Virus bietet. Besonders in den frühen 1990er-Jahren steckten sich so viele Menschen an.
Jahrgangsscreening – und dann?
Nur: Ein solches Jahrgangsscreening kostet. Zu den 1500 Patienten, die laut BAG bislang pro Jahr in der Schweiz die Diagnose erhalten, käme noch einmal eine grosse Zahl neuentdeckter Patienten hinzu – à 30'000 Franken pro Therapie. Eine Modellstudie der Universität Zürich zeigt, dass 3000 bis 4000 Behandlungen pro Jahr durchgeführt werden müssten – fast doppelt so viele wie zuvor.
Nun beginnt das grosse Rechnen: Einerseits legen Daten aus dem Ausland den langfristigen Nutzen der Mehrausgaben nahe – denn zum einen dürften so die Neuansteckungen und deren mögliche Folgetherapien gegen Null gehen, chronische Leber- und Folgeerkrankungen minimiert und volkswirtschaftliche Einbussen durch Arbeitsausfall verringert werden. Dass die Kosten unter dem Strich trotzdem überschaubar bleiben, zeigen amerikanische Beispiele.
Symptomfrei, aber therapiert?
Andererseits steht die Kritik einer Übertherapie im Raum. Denn durch ein systematisches Screening auf Jahrgänge erhalten auch die Hepatitis-C-Positiven die teure Therapie, die in ihrem Leben nie Probleme durch ihre Infektion bekommen hätten – ein Fakt, der nicht von der Hand zu weisen ist. Auf der anderen Seite sterben jährlich fünfmal mehr Menschen an den Folgen von Hepatitis C als an Aids – 240 pro Jahr.
Ich würde nicht von gesunden Patienten sprechen. Sie haben vielleicht keine Symptome, aber erhebliche Risiken.
Manche Schätzungen gehen aber von bis zu 1600 Todesfällen aus, die auf das Konto von Hepatitis C gehen, ohne dass ein Zusammenhang mit dem Virus hergestellt wurde. Denn Hepatitis C bewirkt nicht nur eine Leberentzündung und -zirrhose, sondern kann auch das Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten und Diabetes deutlich erhöhen. Bis zu 40 Prozent der Leberkrebs-Fälle könnten durch eine Hepatitis-C-Infektion ausgelöst sein.
«Ich würde deshalb nicht von gesunden HCV-Patienten sprechen. Sie haben vielleicht keine Symptome, aber erhebliche Risiken. Also sollte man sie auch behandeln, um die Risiken zu minimieren – ähnlich, wie man das ja auch bei Bluthochdruck macht», sagt Philip Bruggmann, Chefarzt für Innere Medizin am Arud Zentrum für Suchtmedizin, der sehr viel mit Hepatitis-C-Patienten in Kontakt kommt.
Krankheitswelle droht noch
Die Zeit drängt. Weil sich die ersten körperlichen Folgen der Ansteckung erst nach 20 bis 30 Jahren zeigen können, befürchten Experten in den kommenden Jahren eine Welle von Erkrankungen, die auf die Hepatitis-C-Infektion zurückgehen.
Wir schlagen vor, nur dort zu testen, wo es Sinn macht – im Drogenmilieu, im Sexmilieu, aber nicht generell in einer ganzen Geburtenkohorte.
Das BAG ist zögerlich, was ein Jahrgangsscreening anbelangt, denn anders als in anderen Ländern seien in der Schweiz nicht grosse Teile der Bevölkerung infiziert und auch die Neuansteckungsrate sei gering. «Es fehlt die Evidenz, dass die Therapie für Menschen ohne Symptome ein Vorteil ist oder ob es ausreicht, bei ersten Symptomen damit anzufangen. Deshalb sind wir vorsichtig und schlagen vor, nur dort zu testen, wo es Sinn macht – im Drogenmilieu, im Sexmilieu, aber nicht generell in einer ganzen Geburtenkohorte», wägt Daniel Koch, Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» am Bundesamt für Gesundheit, ab.
Derzeit ist die Ausweitung der Therapie auf alle (bis dato bekannten) Infizierten auf zwei Jahre befristet. Dann soll eine Auswertung der Datenlage über das weitere Vorgehen entscheiden.