Säugetierjungen wie auch Menschenkinder brauchen zu Beginn ein hohes Mass an Fürsorge und Zuwendung. Das ist wesentlich für eine gesunde körperliche und psychische Entwicklung. Um die Befriedigung dieser Bedürfnisse einzufordern, hat der Nachwuchs wirksame Tricks auf Lager. Instinktiv sucht er die Nähe zur Mutter und protestiert bei Trennung mitunter lautstark sowie mit heftigen Bewegungen.
Was dabei genau passiert, haben Forscher um Gianluca Esposito vom japanischen RIKEN Brain Science Institute nun experimentell untersucht. Sie führten eine Reihe von Tests mit zwölf Babys im Alter von ein bis sechs Monaten und ihren Müttern durch. Dabei wurden die beruhigenden Wirkungen von Krippe, einfachem Gehaltenwerden und Herumtragen verglichen, und zwar hinsichtlich des Verhaltens des Kinds, seiner Lautäusserungen und seines Herzschlags.
Dabei zeigte sich, dass tatsächlich nichts so effektiv ist wie das Herumtragen. Schreiende und zappelnde Babys wurden nicht nur ruhig, auch ihr Puls sank augenblicklich. Wurden sie nur im Arm gehalten, war die Reaktion weit weniger deutlich und der Herzschlag veränderte sich kaum. Offensichtlich spielt also auch die Bewegung eine wesentliche Rolle. Bei nicht weinenden Babys fiel der Puls beim Tragen laut den Forschern ebenfalls ab. In der Krippe wurde der Zustand in der Regel schlimmer.
Auch Mäusekinder wollen getragen werden
Das Herumtragen ist kein exklusiv menschliches Phänomen. Zahlreiche andere Säugetiere wie Löwen, Eichhörnchen, Katzen oder Mäuse tragen ihren Nachwuchs ebenfalls. Da sie aber keine Arme zum Halten haben, tragen sie die Jungen sanft am Nacken. Diese nehmen typischerweise eine bestimmte Trageposition ein, bei der sie die Hinterbeine einrollen. Wie sich das Tragen auf die Jungtiere auswirkt, ist kaum untersucht. Die Forscher vermuteten, dass die Haltungsänderung ähnlich wie beim Menschen von physischen Reaktionen begleitet wird.
Bei ihren Experimenten wurden junge Mäuse etwas abseits vom Muttertier in einen Behälter gesetzt, aus dem sie sich nicht selbst befreien konnten. Bei der «Errettung» - d. h. beim Wegtragen - durch die Mutter beruhigten sich die Mäusejungen ebenfalls augenblicklich: Sie hörten auf, Schreie im Ultraschallbereich auszustossen und ihre Herzschlagrate sank. Das reine Halten hatte bei den Tier- wie bei den Menschenbabys eine weniger beruhigende Wirkung.
Der Effekt setzte auch dann ein, wenn ein Forscher das Jungtier an derselben Stelle im Nacken aufnahm und trug. Zusatzversuche legen nahe, dass die Berührung ebendort für diese sedierende Wirkung verantwortlich ist. Gesteuert werde die Reaktion durch Parasympathikus (vegetative Nervensystem) und über das Kleinhirn.
Babys «machen sich leicht»
Weitere Experimente lassen vermuten, dass auch die eingerollte Trageposition der Jungtiere kein Zufall ist. Die kompakte Form erleichtert dem Muttertier offensichtlich das Tragen. Diese Transportreaktion könne man auch bei Menschenbabys beobachten, die durch ihre Haltung die Last für die Mutter verringern.
Evolutionär betrachtet hatte der «Beruhigungsreflex» für Menschen und Tiere wahrscheinlich mehrfachen Nutzen, wie die Forscher schreiben. Nicht nur stärkt er die Mutter-Kind-Bindung an sich, in Notfällen begünstigte er auch das Überleben. Mit einem ruhigen, leicht tragbaren Baby konnte die Mutter schneller fliehen.
Die Ergebnisse seien aber auch für heutige Eltern bzw. zeitgemässe «Notfälle» interessant. Denn wenn Babys nach dem Ablegen wieder zu schreien beginnen, ist das nicht der bösartige Versuch, ihre Eltern zu kontrollieren. Es ist einfach ein natürlicher und körperlicher Reflex.