Ein bekanntes Bild: Ein Jogger oder eine Joggerin lehnt sich nach dem Laufen an einen Laternenmast und zieht das Bein gegen hinten, mit dem Arm nach oben. Es gibt Sportlerinnen und Sportler, die aufs Dehnen nach dem Sport schwören, andere tun es davor und für die dritten ist es überflüssig. Ein Glaubensstreit.
«Für mich ist das Training erst beendet, wenn auch gedehnt wurde», sagt der diplomierte Sportlehrer und Personaltrainer Savo Hertig. Er selbst kommt ursprünglich vom Spitzensport und trainiert auch Topathletinnen und -athleten aus diversen Disziplinen. «Aber ich weiss auch, dass Dehnen umstritten ist», sagt Hertig. Wie kommt das?
Statisches und dynamisches Dehnen
Unter Stretching oder Dehnen werden Techniken zur Muskeldehnung zusammengefasst. Das statische-passive Dehnen praktizieren viele Joggerinnen und Jogger, indem sie das Bein gegen hinten hochziehen und diese Position an einen Lampenmast gelehnt bis zu 40 Sekunden lang halten. Das dynamische Dehnen ist in eine meist wippende Bewegung integriert.
Dehnen vor dem Sport
Dehnen gehörte bis vor ein paar Jahren zu jedem Training. Heute ist Dehnen umstritten, die Datenlage ist uneinheitlich. «Dehnen vor dem Sport ist dort sinnvoll, wo man sich vorher gut aufwärmen muss – zum Beispiel beim Fussball», sagt der ehemalige Fussballprofi Hertig. Auch beim Hürdenlauf oder Tennis kann Stretching vor dem Sport helfen, ist er überzeugt.
Für mich gehört Dehnen in ein gutes Warm-Up.
Das Dehnen vor dem Sport beuge einerseits Verletzungen vor; es soll aber vor allem helfen, dass der Muskel die Belastungsgrenze, welcher er bei einer bestimmten Sportart ausgesetzt ist, vom Anfang des Trainings an erreicht. «Für mich gehört Dehnen in ein gutes Warm-Up.»
Dehnen nach dem Sport
Nach dem Sport ist Dehnen dann angezeigt, wenn oft die gleiche Bewegung gemacht wurde. Klassiker ist das Joggen. Viele betrachten das Dehnen als Prävention gegen Muskelkater.
«Dehnen kann die Durchblutung fördern, es regt den Stoffwechsel an und kann damit regenerativ wirken», sagt Hertig. «Dehnt man allerdings zu intensiv, besteht die Gefahr, dass man den Muskeln Mikrotraumen zufügt, die dann erst recht zu Muskelkater führen», so der Sportlehrer. Hier sei die Intensität des Dehnens entscheidend.
Warum dehnen?
Beim Dehnen geht es darum, dass die beanspruchten Muskeln, die während des Sports angezogen worden sind, wieder ihre ursprüngliche Länge erreichen. Dabei helfe das Dehnen, so Hertig.
«Ich finde Dehnen nach dem Training wichtig», betont Hertig. «Viele lassen es weg, aus Faulheit, oder weil ihnen die Zeit fehlt.» Er selbst besteht aber auf ein Dehnen, als Ausklang. Das hat auch einen psychologischen Effekt. Mit den Stretching-Übungen kommt man wieder im Alltag an, das Training findet einen Abschluss.
Auch Olympioniken dehnen – aber nicht alle
Ob Dehnen vor oder nach dem Sport gut ist, ist – wie erwähnt – umstritten. Interessant unter all den Studien ist eine Arbeit, die untersucht hat, wie verbreitet und akzeptiert Stretching im Leistungssport ist. Von 273 Leistungssportlerinnen, die am deutschen Olympiastützpunkt Rhein-Neckar trainiert haben, waren 68 Prozent der Meinung, dass Dehnen sie vor Verletzungen schütze. Drei von vier Athleten dehnten beim Training und im Wettkampf.
Leichtathleten und Ballsportlerinnen führten Dehnübungen am ehesten durch, sie waren aber vom Nutzen nicht immer überzeugt. Jeder Dritte Gewichtheber und jede Dritte Schwimmerin verzichtete aufs Stretchen.