«Es ist nicht so, dass Erotik und Sexualität einfach da sind, nur weil man sich liebt. Das ist eher wie bei einem schönen Garten: Den muss man auch immer pflegen, wenn man ihn geniessen will», sagt Christa Gubler, Sexologin – gerade im Alter, und in einer langen Partnerschaft.
Wenn es mit dem Alter in vielen Beziehungen ruhig wird im Schlafzimmer, setzt das oft einen Teufelskreis in Gang: Je weniger Sex man hat, desto höher wird die Überwindung, wieder Sex zu haben. Dann muss man herausfinden, was man sich selbst wünscht und sich einen Ruck geben und das auch dem Partner mitteilen.
Denn Erotik beginnt auch im Alter lange vor dem Liebesspiel. Erotik, das sind Blicke, Gespräche, auch, wie man sich dem anderen zeigt. All das wirkt viel mehr als schöne Unterwäsche oder Blumen.
Christa Gubler erzählt von einem älteren Paar: Der Mann hat jeweils ein schönes Tablett hergerichtet, mit Wein, Kerzen, Blumen – und damit bei seiner Frau angeklopft. Bei der jedoch ging dann jeweils gar nichts mehr – eben weil die Absichten des Mannes damit glasklar waren. Das hat, in den Augen der Sexologin, nichts mit Verführen zu tun.
Erotikfreie Zone Alters- und Pflegeheim
Weit handfester werden jedoch die Probleme, wenn Menschen altersbedingt nicht mehr daheim wohnen können – und trotzdem ihre Sexualität nicht opfern möchten. Denn Alters- und Pflegeheime sind meist auf alleinstehende Personen ausgerichtete Orte, die auf den Wunsch nach Nähe, Zärtlichkeit und Sexualität nicht eingestellt sind. Oft fehlt auch die Privatsphäre. Und die meisten dieser Einrichtungen verfügen über keine Angebote, um auf solche Wünsche reagieren zu können. Sie bieten höchstens ihrem Pflegepersonal Weiterbildungskurse an, wie es auf allfällige sexuelle Anspielungen oder Übergriffe reagieren kann. Doch wohin mit der Sexualität der Bewohnerinnen und Bewohner?
Alte Menschen in einem Alters- und Pflegeheim sind oft einsam, z. B. verwitwet, und haben ihre sexuelle Abstinenz häufig nicht freiwillig gewählt. Es ist wenig hilfreich, sie als «alte Glüschtler» abzutun. Ihr Verhalten kann ein – wenn auch missglückter – Hilferuf sein. Sexuelle Anspielungen oder direkt geäusserte Wünsche gegenüber anderen Bewohnern oder dem Heimpersonal sind nicht selten und entstehen oft nicht einfach aus Langeweile, sondern sind Ausdruck echter sexueller Not. In den meisten Fällen sind es Männer, die aus der Sicht des Pflegepersonals «zu weit gehen».
Grenzen zwischen Pflege und Sexualität ziehen
In der Pflege im Alters- und Pflegeheim kann es daher plötzlich auch um sexuell konnotierte Situationen gehen: Bei der Intimwäsche zum Beispiel kommen die Pflegenden an einen Grenzbereich zwischen professioneller Pflege und Sexualität. Hier gilt es für das Personal, deutlich Grenzen zu setzen und diese auch zu kommunizieren. Schwieriger wird es bei dementen Heimbewohnern, wo die Grenzüberschreitungen oft nicht mehr kommuniziert werden können.
Der Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK hat unter dem Titel «Verstehen Sie keinen Spass, Schwester?» einen Leitfaden zum Schutz vor sexueller Belästigung herausgegeben. Hierin wird eine Pflegefachfrau z.B. so zitiert: «Ich betreute seit Jahren einen ganz charmanten alten Mann. Als sich der Wechsel ins Pflegeheim abzeichnete, fing er an zu drängen: Einmal im Leben wolle er noch Sex mit einer Frau. Das sei sein grösster Wunsch. Bei jedem Besuch kam er mit diesem Thema.» Eine andere Pflegeassistentin berichtet: «Ich vertrug mich ganz gut mit einem alten, leicht dementen Heimbewohner. Er verlangte immer mich, als es ums Duschen ging, nur bei mir machte er mit. Eines Tages hat er angefangen, unter der Dusche sein Glied zu reiben und blickte mich dabei vieldeutig an.»
Umdenken in der Altenpflege
Es gibt immer mehr Alters- und Pflegeheime, die aktiv auf die sexuellen Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner reagieren. So arbeiten sie zum Beispiel mit «Berührerinnen» oder Sexualassistentinnen zusammen. Diese werden von der Heimleitung aufgeboten, wenn ein Bewohner das Bedürfnis nach körperlicher Nähe hat. Falls die Person unter Vormundschaft steht, geschieht das auch in Absprache mit den Angehörigen. In selteneren Fällen wurden Altersheimbewohner auch schon auf dem Gang zu einer Prostituierten begleitet.