Das lange Stehen macht ihm nicht viel aus. «Ich merke es eher auf der Lunge. Die verschiedenen Rohstoffe, die wir einsetzen.»
Stephan Feuz ist zurück in der Entwicklungsabteilung einer Chemiefirma. Mischt nach feiner Rezeptur einen neuen Dicht- und Klebestoff zusammen. Geniesst die wiedergewonnene Normalität. Er merkt aber auch, dass ihn die Folgen der Covid-19-Erkrankung noch ein Weilchen begleiten werden.
Dass er im Sommer bereits wieder am Erwerbsleben teilnimmt, ist alles andere als selbstverständlich.
Im März wurde Stephan Feuz zum Covid-19-Notfall. Erlebte seinen 54. Geburtstag auf der Intensivstation. Musste beatmet werden. Erlebte Komplikationen und Rückschläge und kämpfte sich zweieinhalb Monate in Spitälern und Rehaklinik wieder zurück ins Leben.
Anfang Juni dann endlich die Rückkehr nach Hause. Und Ende Monat der erste Tag am alten Arbeitsplatz. Ein hart errungenes Stück Normalität.
«Das ist auch ein Teil, der zum Leben gehört. Wieder ins Geschäftsleben zu kommen.» Auch hier ist wieder Geduld gefragt. Stück für Stück tastet sich Stephan Feuz an seine Belastungsgrenzen heran. Hat mit einem 30-Prozent-Pensum begonnen, sich dann an 50 Prozent herangewagt und arbeitet mittlerweile sogar wieder voll.
Bei den Dreharbeiten für das Gesundheitsmagazin «Puls» ist gegen Mittag der Ofen aus: «Ich merke es einfach schon in den Knochen, dass das jetzt eine Belastung gewesen ist.» Stephan Feuz ist froh, dass er nach Hause kann.
Auch wenn er nicht mehr in einer Klinik nächtigt: Arzttermine werden noch länger in seiner Agenda stehen.
Da ist zum einen die Lungenembolie, die der 54-Jährige als Komplikation der akuten Coronainfektion erlitt. Die Quelle der Blutgerinnsel zeichnet sich bei der Nachkontrolle beim Gefässspezialisten klar und deutlich auf dem Schirmbild ab: Eine Venenthrombose im Bein. Stabil, aber immer noch da. Blutverdünner weiter nötig.
Da ist zum anderen die Lunge selber, die im April noch gerade mal ein Drittel ihrer normalen Leistung schaffte.
Ein erneuter Lungenfunktionstest in der Rehaklinik Barmelweid soll zeigen, wie sich Stefan Feuz’ Lungenkapazität ein halbes Jahr nach der Covid-19-Erkrankung entwickelt hat.
Das Ergebnis: Atemtraining, Physiotherapie, Sport und Geduld haben sich ausgezahlt: Das Lungengewebe ist bis auf Nuancen abgeheilt, die Lungenfunktion wieder bei 90 bis fast 100 Prozent.
Im April waren es noch 10 Prozent, im Juni 70. Im September nun praktisch Normalwerte. Eine aussergewöhnliche Entwicklung, weiss Pneumologe Thomas Sigrist: «Grundsätzlich sehen wir bei vielen Covid-Patienten Verbesserungen. Bei den einen schneller, bei den anderen langsamer. Aber so schnell und in diesem Ausmass noch nie.»
Alles gut? Nicht ganz.
Stephan Feuz hat im Alltag nicht nur Mühe mit der Konzentration, er wird auch von einem lästigen Reizhusten geplagt. Die Diagnose des Lungenarztes: Leichtes Asthma. Eine weitere Spätfolge der Covid-19-Erkrankung. Thomas Sigrist verschreibt ein Medikament zum Inhalieren.
Zeit zum Durchatmen. Der Lungencheck ist positiv verlaufen, die Genesung macht weiter Fortschritte. Stephan Feuz blickt zuversichtlich in die Zukunft: «Von Grottenschlecht bis wieder wirklich fast normal! Die Resultate sind ein Aufsteller und motivieren wieder ein wenig. Es braucht sicher noch etwas Geduld – aber das ist ein Klacks im Vergleich zu dem, was ich schon durchgemacht habe...»
Covid-19 traf von Anfang an nicht nur ältere schwer. Das bestätigt eine Analyse des Kantonsspitals Aarau. Und eine kürzlich bei 4000 Mitgliedern des britischen Ärzteverbands durchgeführte Umfrage zeigt, dass ein Drittel aller Covid-Patienten unter Langzeit-Symptomen leiden: Chronische Müdigkeit, Muskelschwäche. Konzentrationsschwierigkeiten oder bleibender Geschmacksverlust.
Auch Josef Schmid ist zwar genesen, aber noch lange nicht wieder gesund.
Mit seinen 71 Jahren zählt er zu den klassischen Risikopersonen. Wer den pensionierten Landwirt aber bei der Arbeit sieht, würde nicht glauben, dass auch er im Frühjahr noch um sein Leben rang – und heute noch mit Spätfolgen der Coronainfektion kämpft.
Josef Schmid lag nicht auf der Intensivstation, kam am Beatmen vorbei. Trotzdem ging er mit geschwächter Lunge nach Hause. Seine Leistungsfähigkeit: am Boden. Seither therapiert sich der pensionierte Landwirt am liebsten selbst, mit Bewegung und seiner Arbeit auf dem Hof der Familie.
Ein lästiger Husten ist inzwischen so gut wie verschwunden. Und es dauert lange, bis er bei körperlicher Anstrengung noch ungewohnte Grenzen spürt. Nachts aber raubt ihm eine beklemmende Kurzatmigkeit immer wieder den Schlaf.
Ein Arzttermin soll Klarheit bringen: Die ganze Nacht hat ein Gerät seine Atmungsaktivität aufgezeichnet – nun sollen die Messwerte besprochen werden.
Die Daten verraten: Josef Schmid hatte nachts Atemaussetzer. 30 Stück pro Stunde. Schlafapnoe. Solche Aussetzer erkannte Pneumologe Marc Maurer beim 71-Jährigen schon früher. Doch sie störten seinen Patienten überhaupt nicht. Das beklemmende Aufwachen kam erst mit Covid-19, als Josef Schmid lebensbedrohliche Atemnot durchlebte.
Der Vorschlag des Arztes: Eine Schlafapnoe-Maske. Josef Schmid sieht das Problem ganzheitlicher: «Ich merke je länger, desto mehr, dass das nicht nur körperlich ist, sondern auch eine innere Angelegenheit. Im Unbewussten. Das muss halt auch noch gelöst werden.»
Seine Tochter Gisela kennt eine Methode, die er nun auch ausprobieren will: Ein rituelles Auslöschen von Belastendem, das auch ihr schon geholfen hat.
Ein ruhiger Ort im Wald. Die Hände nach oben über den Kopf. Den Blick nach oben. Vor dem inneren Auge das Schockerlebnis der Atemnot, mit der festen Absicht, es zu löschen. Tief ausatmen…
Josef Schmid nimmt die Hände herunter, lächelt, nickt.
Die Szenerie mutet reichlich esoterisch an. Doch das kümmert den bodenständigen Landwirt nicht im Geringsten. «Ich habe das vor zehn Tagen zum ersten Mal gemacht und eine positive Wirkung verspürt. Ich habe nie mehr Atemnot in der Nacht gehabt. Irgendetwas hat es also bewirkt, ob man das nun wahrhaben will oder nicht.»