Sonia Seneviratne ist eine der meistzitierten Klimawissenschaftlerinnen der Welt. Sie hadert mit der Klimakonferenz, weil die Länder nicht einmal dazu verpflichtet sind, sich an ihre Versprechungen halten.
SRF Wissen: Frau Seneviratne, am 6. November beginnt die 27. Klimakonferenz in Ägypten – fahren Sie hin?
Sonia Seneviratne: Nein. Ich bin zwar eingeladen, aber ich habe mich entschieden, nicht hinzufliegen. Ich werde jedoch remote an einigen Anlässen teilnehmen.
Ist es denn nicht wichtig, dass Sie als Wissenschaftlerin, den teilnehmenden Ländervertretern den aktuellen Stand des Wissens erläutern?
Ich war letztes Jahr in Glasgow zum ersten Mal an einer UNO-Klimakonferenz, und ich hatte nicht den Eindruck, dass wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wirklich gehört wurden.
Woher rührt dieser Eindruck?
Uns schien, dass der grosse IPCC-Klimaratsbericht, den wir ja im Auftrag der UNO-Klimakonferenz geschrieben hatten, nicht genügend zur Kenntnis genommen wurde. Wir haben dann während der Konferenz einen Brief geschrieben, der von sehr vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit unterschrieben wurde. Wir baten darum, dass die wissenschaftliche Evidenz ernst genommen wird.
Wurden Sie gehört?
Unser Bericht wurde im Protokoll dann zumindest willkommen geheissen. Aber im Bereich der internationalen Verhandlungen wurde wenig erreicht, obwohl der Bericht die Dringlichkeit der Lage klarmacht.
Sie hadern mit der Klimakonferenz?
Ja. Es geht einfach viel zu langsam vorwärts. Mit den Versprechungen, welche die Länder bisher für den Klimaschutz gemacht haben, steuern wir bis Ende Jahrhundert auf eine Erderwärmung von 2,4 Grad zu.
Wir sind überhaupt nicht auf Kurs.
Die Klimarisiken nehmen aber jedes Jahr zu, und aus dem Weltklimabericht wissen wir, dass wir oberhalb von 1,5 Grad grössere Gefahren eingehen. Um diese Limite einzuhalten, müssten wir die CO2-Emissionen bis 2030 halbieren. Wir sind aber überhaupt nicht auf Kurs.
Warum geht es denn so langsam vorwärts?
Entscheidungen werden nur im Konsens getroffen. Das heisst, wenn es nur ein Land gibt, das bremsen möchte, dann wird ein Beschluss blockiert. Alle Entscheidungen können also nur mit dem kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner getroffen werden.
Was für ein Vorgehen hielten Sie denn für sinnvoller?
Es bräuchte eine Allianz der Willigen. Jene Länder, die ernsthaften Klimaschutz betreiben wollen, sollten gemeinsam vorausgehen. Und dann bräuchte es eine Verpflichtung, dass die Länder sich auch an die Versprechungen für den Klimaschutz halten.
Ist an den Konferenzen wirklich so wenig Engagement für den Klimaschutz zu spüren?
Doch schon, aber die Länder etwa, die von Öl, Gas oder Kohle leben, wollen meist nichts ändern. Ich war schockiert, was ich in den Hallen vor den Verhandlungsräumen sah: Das war zum Teil wie an einer Messe. Die Firmen, die fossile Energien wie Öl und Gas verkaufen, waren da sehr gut vertreten und lobbyierten.
Ihre Erwartungen an die diesjährige Klimakonferenz sind demnach nicht sehr gross?
Wir werden sehen … es gibt schon auch positive Entwicklungen. Der letzte Teil des IPCC-Klimaberichts etwa zeigt, wie gross die Fortschritte sind, die wir bei den erneuerbaren Energien gemacht haben. Solar- und Windstrom sind sehr günstig geworden. Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist es deshalb sinnvoll, jetzt umzusteigen.
Das Gespräch führte Christian von Burg.