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Waldbäume und Klimawandel Waldbäume sind zäh – wenn man ihnen Zeit lässt

Bäume sind hart im Nehmen. Genanalysen der häufigsten Waldbaumarten zeigen: Bäume vertragen Klimawandel. Vorausgesetzt, er kommt langsam.

Waldbäume hatten schon viel auszuhalten. Während Millionen von Jahren durchlebten sie Perioden von Hitze und Nässe, von Trockenphasen und Eiszeiten. Sie passten sich laufend an und stehen noch immer in unseren Wäldern.

Forschende haben nun sieben Waldbaumarten in verschiedenen europäischen Wäldern genetisch untersucht . In der Schweiz beispielsweise Walliser Föhren, Tessiner Rottannen oder Eichen und Buchen im Jura.

Über Jahrmillionen angesammelte Genvielfalt

Wie steht es um die genetische Vielfalt und was verrät die über die Evolutionsgeschichte der häufigsten Waldbaumarten. Das war die Frage. Die Antwort: Die genetische Vielfalt – also die Unterschiede im Erbgut innerhalb derselben Art – ist überaus gross. Die Baumarten hatten sehr lange Zeit, um sie anzusammeln.

Erstaunlich sei, dass den Waldbäumen selbst massive Stressphasen nichts anhaben konnten, sagt Co-Autor Felix Gugerli, Experte für ökologische Genetik an der eidgenössischen Forschungsanstalt WSL : «Während der Eiszeiten zum Beispiel mussten sich die Waldbäume in südliche Gebiete zurückziehen. Ihr Verbreitungsgebiet und ihre Anzahl schrumpften, aber ihr Erbgut blieb variantenreich.»

Bonus Langlebigkeit

Verschiedene Faktoren halfen den untersuchten Baumarten, ihre genetische Vielfalt in die Gegenwart hinüberzuretten: Sie waren und sind häufig an der Zahl. Der Genfluss ist durch die weite Verbreitung von Pollen und Samen entsprechend gross. Ein weiteres Plus: Bäume werden alt und können ihre Gene über lange Zeit an viele Nachkommen weitergeben.

Das Geschlecht der Bäume – Wie Bäume sich vermehren

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Auch Bäume haben ein Geschlecht und manchmal auch zwei. Manche sind weiblich, andere männlich und wieder andere beides. Es gibt Bäume mit männlichen und weiblichen Blüten. Bei anderen Baumarten haben die einzelnen Bäume ausschliesslich weibliche beziehungsweise männliche Blüten.

Bäume brauchen mehrere Jahre, bis sie zum ersten Mal blühen. Bei manchen Baumarten erscheinen die weiblichen Blüten mehrere Jahre früher als die männlichen.

Alle blühen sie und dies im Wald meist unauffällig. In den Blüten sind die Stempel mit den Samenanlagen und den Staubgefässen mit dem Pollen. Die Befruchtung erledigen Insekten oder der Wind. Sie tragen den Pollen von einem Baum zum andern.

Aus den befruchteten Samenanlagen entwickeln sich die Samen: bei Nadelbäumen in den Zapfen, bei Laubbäumen in den Früchten. In Eicheln, Bucheckern und Kastanien ist das Erbgut gespeichert.

Diversität ist also ein Überlebensvorteil. Während Jahrmillionen ging es den Waldbäumen gut damit. Je grösser die genetische Vielfalt, desto grösser die Chance, dass es Individuen gibt, die sich besonders gut an bestimmte Umweltveränderungen anpassen können und der Art ihre Zukunft sichern. Ob Hitzeperioden oder Kältephasen, ob nass oder trocken? Kein Problem! Da sind bestimmt ein paar Bäume, die’s vertragen.

Der aktuelle Klimawandel ist für die Bäume zu schnell

Doch das war einmal. Denn der aktuelle Klimawandel ist anders. «Er ist extrem schnell», sagt Felix Gugerli, «früher haben sich Klimaveränderungen über Tausende oder Hunderttausende von Jahren hinweg entwickelt.» Der jetzige, vom Menschen verursachte Klimawandel aber lässt den Bäumen kaum Spielraum.

Es fehlt ihnen die Zeit, sich über Generationen an die schleichenden Veränderungen anzupassen. Ihre evolutionär bewährte Langlebigkeit wird zum Nachteil. Sie produzieren zwar ständig Nachkommen. Doch das Erbgut der Jungbäume ist angepasst an eine verlorene Zeit – an die Umwelt, in der ihre Eltern aufgewachsen sind und die es so heute nicht mehr gibt.

Das Sterben der Spezialisten

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Blauer Käfer mit langen Fühlern in Seitenansicht
Legende: Ohne Buchen kein Alpenbock Imago Images / McPhoto

Verschwinden die Bäume, sterben auch ihre Spezialisten. Spezialisten sind Lebewesen, die auf eine ganz bestimmte Baumart angewiesen sind. Es gibt Tausende von ihnen. Sie machen Bäume zu Mikrohabitaten.

Pilze wie der Echte Zunderschwamm (Fomes fomentarius)  wachsen auf Baumstämmen und ernähren wiederum verschiedene Käfergemeinschaften. Viele Flechten- und Moosarten bevorzugen eine bestimmte Baumart.

Vor allem alte und tote Bäume beherbergen eine grosse Zahl und Vielfalt von Mikrohabitaten. Sie bieten Fledermäusen und Vögeln schützende Höhlen. Käfer ernähren sich von ihrem Saft und Bakterien, Pilze und Insekten zersetzen verletztes Holz.

Einer der seltensten, grössten und schönsten Käfer der Schweiz kann ohne Buchen nicht überleben. Der Alpenbock (Rosalia alpina) braucht für seinen Nachwuchs totes Buchenholz. Die Larven des Alpenbocks wachsen über mehrere Jahre ausschliesslich im Totholz dieser einen Baumart – und dies auch nur dann, wenn das Holz im Sonnenlicht steht.

Die Jungbäume sind alt, noch bevor sie aufblühen können

Kommt hinzu, dass die Waldbewirtschaftung dem rettenden genetischen Zufall seit langem zusetzt. «Das beginnt schon mit der Nachzucht» – so Felix Gugerli – «Bei Aufforstungen wird das Saatgut nicht im ganzen Verbreitungsgebiet gesammelt. Es stammt meist nur noch von einigen wenigen Mutterbäumen. Entsprechend eingeschränkt ist die Vielfalt des Erbguts.» Das müsse sich ändern. Durch die Vernetzung von Lebensräumen zum Beispiel.

Damit die Samen sich ausbreiten, Pollen und Bestäuber fliegen und Gene fliessen können.

Wissenschaftsmagazin, 19.10.2024, 12:40 Uhr

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