Das Wichtigste in Kürze
- Entsteht ein Unfall mit dem Elektro- oder Hybridauto, müssen Rettungskräfte anders vorgehen, als bei einem Benzin- oder Diesel-Fahrzeug.
- Bei einem Unfall schaltet sich ein Stromfahrzeug automatisch stromfrei. Doch ein Restrisiko bleibt. Sicherheitsleute werden darum auf neue Autos geschult.
- Für Ersthelfer gilt: Sind orangene Kabel da: Fahrzeug nicht anfassen, Unfallstelle sichern, Hilfe holen. Bei Verletzten keine nackten Körperstellen berühren.
Ein Verkehrsunfall. Der Unfallwagen ist stark demoliert und steht in Flammen. Die Feuerwehr ist vor Ort und bekämpft den Brand. Plötzlich quillt dichter, weisser Rauch aus der Motorhaube.
Was klingt wie ein brenzliger Einsatz, ist eine Übung. Das brennende Fahrzeug, ein Elektroauto. Wenn weisser Rauch auftaucht – das haben die zehn Rettungsspezialisten der Feuerwehren des Kantons Zürich heute gelernt – ist das ein Alarmzeichen. Weisser Rauch bedeutet, die Batterie brennt.
Neue Autos, neues Terrain
Am Rand der Szenerie steht Kurt Bopp und macht Notizen. Er ist Ausbildner an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe. Auch wenn Retten für Einsatzkräfte zum Alltag gehört, sind Unfallstellen mit Stromfahrzeugen eine Herausforderung.
«E-Autos sind neu», erklärt Bopp. «Benzin und Diesel zu handhaben, haben wir seit 100 Jahren gelernt.» Bei E- und Hybridautos sei man aktuell in einer Übergangsphase und deswegen noch nicht bereit mit diesen umzugehen.
Zuerst: Autotyp bestimmen
Die grösste Hürde ist das Erkennen dieser Fahrzeuge. Der Autostrassenhilfe Schweiz ASS zufolge geschieht dies in acht von zehn Unfällen nicht oder erst nach dem Einsatz.
Optisch unterscheidet sich ein E- oder Hybridauto nur wenig von einem Auto mit Benzin- oder Dieselmotor. Wichtigstes Hilfsmittel ist daher die AUTO-Regel (Auslaufende Flüssigkeit vorhanden?, Unterbodencheck, Tankdeckel öffnen, Oberfläche anschauen). Sie wurde speziell zum Erkennen von Stromfahrzeugen entwickelt und gibt am Unfallort erste Hinweise.
Nicht gefährlicher als andere Autos
Ein Auto als Stromfahrzeug zu identifizieren ist das eine. Ebenso wichtig ist der korrekte Umgang mit ihnen. Grundsätzlich ist das Gefahrenpotenzial von E- und Hybrid-Autos nicht grösser als das herkömmlicher Fahrzeuge.
Allerdings: An den Stromkabeln im Auto liegt eine Spannung von bis zu 600 Volt an. Eine Steckdose hat nur 230 Volt. Und bereits ein Stromschlag mit einer Spannung von 50 Volt kann lebensgefährlich sein.
Wichtiges Hilfsmittel ist daher die Rettungskarte. Sie ist entweder im Fahrzeug vorhanden oder wird von den Rettungskräften vor Ort in einer speziellen Datenbank abgerufen. Sie erklärt kurz und präzise den Aufbau des Fahrzeugs: Wo laufen die Stromkabel entlang, wo sitzt die Batterie und wo sind Hochvoltkomponenten verbaut.
«Unsere Sinne nehmen den Strom nicht wahr»
Bei einem Unfall schaltet sich ein Fahrzeug in der Regel automatisch stromfrei. Doch ein Restrisiko bleibt. Auf die menschlichen Sinne ist in solchen Situationen wenig Verlass, weiss Kursleiter Silvio Keller: «Unsere Sinne – Augen, Nase, Ohren – nehmen den Strom nicht wahr.» Ein Stromfahrzeug ist auch bei laufendem Motor vollkommen geräuschlos.
Am Unfallort unterbrechen die Rettungskräfte den Strom daher zusätzlich manuell. Die Rettungskarte zeigt an, wo der Trennschalter im Fahrzeug verbaut ist.
Mit orangenen Schutzhandschuhen, die vor Stromschlägen mit Spannungen von bis zu 1000 Volt schützen, macht sich ein Kursteilnehmer am Kofferraum des Unfallwagens zu schaffen. Kurze Zeit später die Entwarnung: «Strom ist getrennt!»
Temperaturen bis 1200 Grad
Strom ist eine Gefahrenquelle. Der Batterieblock in E- und Hybridautos eine weitere. Vor allem, wenn die Batterie bei einem Unfall beschädigt wird. Wird diese von einem Metallstück bis hin zur Batteriezelle durchdrungen, entstehen innerhalb kürzester Zeit Temperaturen bis zu 1200 Grad Celsius. Ein Fahrzeugbrand ist unausweichlich.
Der wiederum kann dazu führen, dass die Karosserie unter Spannung steht, erklärt Kursleiter Bopp. «Man kann sich gut vorstellen, dass, wenn so ein Auto abgebrannt ist, jegliche Isolation verbrannt ist. Und dann haben wir blanke, stromführende Teile.»
Gefährlich sind auch die Batteriedämpfe, die als weisser Rauch entweichen. Wenn man diese einatme, könne das grosse Zerstörungsbilder in Mund, Nase und den Atemwegen hervorrufen, so Bopp.
Denn in Verbindung mit Flüssigkeit – zum Beispiel durch unsere Schleimhäute – entsteht Flusssäure. Eine stark ätzende und hochgiftige Chemikalie.
Wissen weitergeben
Ein Rettungseinsatz bei Unfällen mit Stromfahrzeugen birgt besondere Gefahren. Das ist nach diesem Tag auch den Kurteilnehmern klar geworden.
Ihr neu erworbenes Wissen werden die Männer nun an ihren Heimatstützpunkten an die Kollegen weitergeben. Noch sind nicht alle Rettungskräfte parat, aber das Problem ist erkannt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de.