Das Wichtigste in Kürze
- Der Wisent ist das grösste und schwerste Landsäugetier Europas, das die Wälder der Nordwestschweiz bis ins Spätmittelalter bevölkert hat.
- Naturschützer wollen Wisente im solothurnischen Jura auswildern – in einem Auswilderungsgehege von rund 100 Hektaren.
- Das Wisent-Projekt weckt auch Ängste: Einige Bauern befürchten, dass die Tiere das Kulturland beschädigen könnten.
Ein Ur-Rind in rauer Landschaft
Der Naturpark Thal ist ein weitläufiger, rauer Landstrich hinter der ersten Jurakette. Dort soll nun das grösste und schwerste Landsäugetier Europas wieder heimisch werden: der Wisent. Ein Ur-Rind, das beinahe ausgerottet wurde.
Naturschützer wollen eine Testherde von 20 Wisenten auswildern. Der Biologen Darius Weber ist der Kopf der «Gruppe Wisent» im Thal. Für ihn gehört das Ur-Rind in den Jurawald.
Dass nun die Wiederansiedlung der Wisente im Naturpark klappen könnte, hat mehrere Gründe: «Es gibt erstens eine Waldbesitzerin, die mitmacht. Zweitens einen Bauern, der seinen Hof ins Zentrum des Geschehens stellen will. Und drittens eine Gemeinde, die uns wohlgesinnt ist», sagt Darius Weber.
100 Hektar Freiheit
Die Waldbesitzerin ist die Bürgergemeinde Solothurn: Sie hat kürzlich entschieden, für das geplante Auswilderungsgehege der Wisente 100 Hektaren Wald an der Jura-Nordflanke zur Verfügung zu stellen.
Der erwähnte Bauer ist Benjamin Brunner. Er bewirtschaftet einen Biohof etwas oberhalb von Welschenrohr. Brunner ist als Wisent-Ranger bestimmt: Wenn alles nach Plan geht, kümmert er sich schon ab 2018 um die Wisente im Thal – für eine vorläufige Testphase von zehn Jahren.
Ein faszinierend zahmer Riese
«Als ich zum ersten Mal von dem Projekt hörte, kam es mir ziemlich schräg vor», erzählt Brunner. Doch dann habe er sich eingelesen.
«Die ganze Geschichte, wie die Wisente bis ins Spätmittelalter die Wälder der Nordwestschweiz bevölkert haben, oder die Tatsache, dass dies ja keine Raubtiere, sondern friedliche und scheue Wiederkäuer sind – all dies begann mich zu faszinieren», sagt der Biobauer auf dem Rundgang durchs Schaugehege.
Die 20 Hektaren grosse Fläche grenzt unmittelbar an Brunners Hof. Neugierige könnten das Gelände frei durchwandern. So haben sie die Chance, die mächtigen Tiere mit dem hohen Buckel, dem majestätischen Kopf und den kleinen braunen Augen aus der Nähe zu beobachten.
Ein erster Schritt in die Freiheit
Das Herzstück des Wisent-Projekts aber ist das deutlich grössere Auswilderungsgehege im Wald. Der Plan: Auf diesem Grundstück von 100 Hektaren soll eine Herde von weiteren 15 bis 20 Wisenten angesiedelt werden.
Dort sollen sich die Wildrinder an ihre neue Umgebung gewöhnen. Nach einem Jahr, wenn alles gut läuft, dürfen die Tiere raus in den Wald an der Jura Nordflanke.
«Keine weiteren Exoten»
Allerdings weckt das Wisent-Projekt im Thal auch Ängste. Vor allem die Bauern sind skeptisch. Einer von ihnen ist Edgar Kupper. Er führt in der Thaler Gemeinde Laupersdorf einen Hof in zehnter Generation.
Von Kuppers Sömmerungsweide aus hat man einen wunderbaren Blick auf die hinteren Juraketten und auf die Berner Alpen. Kupper weist stolz auf seine Felder, die er in dieser Idylle bewirtschaftet.
«Wir Bauern wirtschaften hier oben sehr naturnah, und wir stemmen uns nicht grundsätzlich gegen Neues», betont Edgar Kupper. «Hingegen sind wir kritisch bei der Ansiedlung weiterer Exoten, die bei uns schon lange nicht mehr heimisch sind.»
Kulturen in Gefahr?
Für Edgar Kupper ist klar, was passieren würde, wenn im Thal die Wisente frei herumzögen: «Sie werden in unsere Kulturen einbrechen und diese beschädigen.» Für einen Wisent mit seinem Gewicht von bis zu einer Tonne sei ein Zaun kein Hindernis.
Noch ziehen keine Ur-Rinder durch die Wälder im Thal. Bevor der Wisent im Naturpark heimisch werden kann, müssen Kanton und Bund das Projekt noch bewilligen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 17.6.2017, 12.40 Uhr