SRF: Thomas Häusler, Forscher haben untersucht, wie stark der Klimawandel den Eisbären zusetzt. Zu welchem Schluss sind sie gekommen?
Die Forscher haben eine relativ grundlegende Messung gemacht: wie viel Energie Eisbären verbrauchen, wenn sie jagen oder ruhen. Das wusste man bisher nicht genau.
Das Resultat überrascht: Eisbären verbrauchen mehr Energie, als man bisher geglaubt hat – etwa 1,6 Mal mehr. Die Tiere müssen also viel mehr Kalorien zu sich nehmen als gedacht. Es zeigte sich, dass das knapp werden kann: Fünf von neun untersuchten Bären konnten im Untersuchungszeitraum weniger erbeuten, als sie eigentlich brauchen. Sie verloren an Gewicht.
Wie genau haben die Forscher diesen Energieverbrauch gemessen?
Die Messungen fanden vor der Nordküste Alaskas statt. Anthony Pagano und sein Team suchten mit dem Helikopter Eisbären, narkotisierten die Tiere und injizierten einen Stoff ins Blut, mit dem man den Energieverbrauch der Tiere messen kann.
Den schlafenden Eisbären legten sie dann ein Halsband mit Kamera an. Das gab einerseits coole Aufnahmen (siehe Video), hat aber natürlich einen ernsten Hintergrund: Die Forscher konnten das Verhalten der Bären beobachten.
Zusammen mit einem GPS und einem Bewegungssensor bekamen sie ein ziemlich gutes Bild davon, welche Eislandschaften die Bären durchwanderten, wie viel sie schwammen, wen sie unterwegs trafen – und natürlich, was sie frassen.
Nach acht bis elf Tagen wurden die Bären wieder eingefangen, narkotisiert, gewogen und ihnen wurde Blut abgenommen. Dank des zuvor injizierten Stoffs konnte man aus diesem Blut den Energieverbrauch berechnen.
Fünf dieser Eisbären konnten weniger Energie zu sich nehmen, als sie gebraucht hätten – ein Zeichen dafür, dass die Tiere bedroht sind?
Nicht unbedingt. Eisbären jagen Robben und da gibt es Jagdglück und Jagdpech. Die Tiere können mit Fasten gut umgehen.
Aber die Untersuchung zeigt, dass Eisbären extrem viele Kalorien brauchen. Diesen Bedarf können sie nur decken, indem sie Robben fressen, weil die extrem fettreich sind. Normalerweise ist der Frühling, in dem die Studien gemacht wurden, eine gute Saison für die Jagd. Dass über die Hälfte der Eisbären in dieser Periode an Gewicht verlor, ist kein gutes Zeichen.
Das Meereis hat in den letzten Jahren stark abgenommen und wird in Zukunft noch weiter zurück gehen. Es wird also auch weniger Robben geben?
In 20 bis 30 Jahren, schätzt man, wird es im Sommer gar kein Meereis mehr geben. Aber die Robben leben komplett auf diesem Eis. Wenn es durch die Erderwärmung schmilzt, ist erstens unklar, was mit den Robben passiert. Und zweitens wird das Jagen für die Eisbären viel schwieriger, weil sie nicht mehr an die Robben heran kommen. Dazu kommt, dass Schwimmen viel Energie kostet.
Ihr Fazit?
Durch den Klimawandel nimmt der Energieverbrauch der Eisbären wahrscheinlich stark zu und ihre Nahrung ab. Weniger Nahrung heisst zwar nicht unbedingt Verhungern, aber die Tiere können sich weniger erfolgreich fortpflanzen. Durch die neue Studie können die Forscher besser einschätzen, wie stark die Eisbären wirklich durch den Klimawandel gefährdet sind.
Das Video eines abgemagerten Eisbären, der am Rande einer Inuit-Siedlung nach Essbarem sucht, rührte vor kurzem viele Menschen. Werden wir so etwas also häufiger sehen?
Es ist in der Tat so, dass Eisbären vermehrt an Land gehen werden und sich dort auch über die Abfallhaufen her machen. Sie werden auch häufiger hungern, man wird sicher öfter abgemagerte Eisbären sehen. Der Eisbär im Video könnte so ein Fall gewesen sein, man weiss es aber nicht. Er könnte auch einfach krank gewesen sein.
Das Interview führte Corinna Daus
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 03.02.18, 12.40 Uhr