Zum Glück führt der Danshui-Fluss in China manchmal kaum Wasser. Nur so konnten die Forscher um Dongjing Fu eine bisher unentdeckte Gesteinsschicht voller Fossilien freilegen.
Was sie fanden, begeistert Paläontologen weltweit – so auch Allison Daley von der Universität Lausanne: «Es wurden unglaublich schön erhaltene Fossilien von Weichtieren und Weichteilen wie Haut, Augen oder sogar inneren Organen gefunden.»
Seltene Fossilien von Weichteilen
Das ist bemerkenswert, weil sich Weichteile sonst kaum erhalten. Am Danshui-Fluss sind 520 Millionen Jahre alte Quallen, Korallen und Seeanemonen von blossem Auge sichtbar, als wären sie eben erst auf den Meeresgrund gesunken.
Diese sogenannten Qingjiang-Schichten seien wohl eine der wichtigsten paläontologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte, meint Daley.
Unter den Fossilien sind viele unbekannte Arten. Die Gesteinsschichten zeigen, wie sich das Leben auf der Erde in der Epoche des Kambriums entwickelte.
Würde man die biblische Schöpfungsgeschichte im Sinne der Paläontologen neu schreiben, und zwar ohne am siebten Tag zu ruhen, dann lautete sie so: Am ersten Tag gab es noch kein Leben. Am zweiten Tag tauchten im Urmeer erste mikroskopisch kleine Lebewesen auf.
Dann änderte sich lange kaum etwas. Am siebten Tag, um fünf Uhr morgens, explodierte das Leben förmlich, wie Allison Daley schildert: «Wir nennen es ‹Explosion› um darauf hinzuweisen, dass es ein sehr schnelles Ereignis war – verglichen mit dem, was davor oder danach geschah.»
Explosion der Artenvielfalt
Während dieser sogenannten kambrischen Explosion vor rund 520 Millionen Jahren entwickelten sich alle wesentlichen Stämme des Lebens: die Schwämme etwa, oder die Gliederfüsser, aus denen später Insekten, Tausendfüssler und Spinnen hervorgingen.
Es entwickelten sich auch frühste Vertreter der Wirbeltiere. Aus diesem Tierstamm entstand viel, viel später auch der Mensch.
Mehr Nährstoffe, mehr Sauerstoff
Warum es zu dieser Artenexplosion kam, darüber streiten die Forscher laut Daley bis heute. Es gebe aber wohl verschiedene Gründe.
Einerseits waren es äussere Umstände: Es ist die Zeit, in der sich die Kontinente zu trennen beginnen. Dazwischen bilden sich seichte Meere. Vom Land her werden viele Nährstoffe ins Wasser gespült. Der Sauerstoffgehalt steigt an.
Evolutionäres Wettrüsten
Andererseits differenziert sich das Leben selbst wie bei einem Wettrüsten: Es entstehen Parasiten – also Tiere, die auf Kosten anderer leben. Und es entwickeln sich Räuber, die andere fressen.
Beutetiere wiederum beginnen sich zu schützen: «Sie entwickeln Schalen und Stacheln. Oder sie vergraben sich im Untergrund», sagt Paläontologin Daley. Im Meer entstehen neue Lebensformen wie Muscheln, Seeigel, Röhrenwürmer und erste Vorläufer der Fische.
Die in China entdeckten Fossilien ermöglichen einen genaueren Einblick in diese Entwicklungen. «Sie können helfen, Wissenslücken zu schliessen und die ersten Phasen der tierischen Evolution zu verstehen», hofft Daley.
Tag 7, 23.50 Uhr: der erste Mensch
Die Spezies Mensch übrigens, die taucht in der paläontologischen Schöpfungsgeschichte erst am siebten Tage auf, um 10 Minuten vor Mitternacht.
Diesem Neuling gelingt es nun, die Geschichte der Entstehung des Lebens von hinten her aufzurollen – so präzise wie nie zuvor.