Blitze schlagen gerne in Bäume ein: Das weiss jedes Kind. Dass Gewitter in den Tropen besonders heftig ausfallen, ebenfalls. Doch erst jetzt liefern Forscher Zahlen, die das ganze Ausmass von Unwetterschäden in den Regenwäldern der Erde erahnen lassen.
«Wir haben selbst nicht gedacht, dass Blitzeinschläge eine derart wichtige Rolle für das Ökosystem spielen», sagt Stephen Yanoviak, Professor für Biologie an der Universität Louisville in den USA.
Jahr für Jahr gingen schätzungsweise 60 Millionen Blitze in tropischen Regenwäldern nieder, erläutert Evan Gora, wissenschaftlicher Mitarbeiter an Yanoviaks Lehrstuhl: «Um die 1.1 Milliarden Bäume werden von ihnen getroffen, rund 350 Millionen sterben dadurch.»
Beobachtungstürme im Wald
Die US-Biologen sind schon seit Jahren auf Barro Colorado Island tätig, einer kleinen Regenwald-Insel im Panamakanal in Zentralamerika. Dort stossen 45 Meter hohe Messtürme durch das dichte Kronendach.
Die Forscher haben sie mit Kameras bestückt, die ständig filmen. Die Auswertung der Aufnahmen übernimmt der Computer. Ein spezieller Algorithmus fischt alle Aufnahmen mit Blitzen heraus.
«Nach unseren Beobachtungen werden im Durchschnitt fünf Bäume durch einen Einschlag getötet und weitere 17 geschädigt», resümiert Yanoviak.
115 auf einen Streich
Der Blitztod aus donnergrollendem Himmel: Im Regenwald ist er offenbar ein Gruppenschicksal. Einmal habe es 115 Bäume auf einen Streich erwischt, sagt Evan Gora.
Seine Beobachtung: «Wenn der Blitz einen Baum trifft, fliesst die elektrische Ladung durch seine Äste und springt von einer Krone auf die nächste über.» Seine Erklärung: «Baumstämme sind eigentlich keine guten Stromleiter, sondern eher Isolatoren.»
Deshalb sei die direkte Entladung zwischen Baumkrone und Boden vermutlich erschwert, und der Blitz nehme den Weg des geringeren Widerstandes durch das Astwerk eng benachbarter Baumkronen.
Immer auf die Grössten
Bevorzugtes Blitzopfer war laut Stephen Yanoviak häufig der Waldmandelbaum (Dipteryx panamensis). Er zähle zu den grössten Urwaldriesen in Panama – und damit auch zu den exponiertesten.
Auf die 350 Millionen vom Blitz getöteten Urwaldriesen pro Jahr kommen die Forscher, indem sie die selbst ermittelten «Sterberaten» von Barro Colorado Island auf andere Regenwaldregionen übertragen.
Es handele sich vorerst nur um grobe Abschätzungen, räumt Evan Gora ein. Und natürlich wüchsen in den Regenwäldern der Erde Billionen von Bäumen. «Aber», so der US-Biologe, «Blitze töten im Besonderen die grössten von ihnen, und das sind die Bäume, in denen auch die grössten Kohlenstoff-Mengen gebunden sind.»
Das Problem dabei: Stirbt ein vom Blitz durchfahrener Regenwaldriese ab, wandert der Kohlenstoff aus dem zersetzten Holz nur zum Teil wieder in den Waldboden. Gewisse Mengen werden frei, und zwar in Form von Kohlendioxid, also als klimaschädliches Treibhausgas.
Düstere Prognosen
Apropos Klimawandel: Forscher erwarten, dass die Gewitter- und Blitzaktivität zunimmt, wenn sich die Erdatmosphäre weiter wie bisher erwärmt.
Das gelte auch für die Tropen, so Stephen Yanoviak: «Das würde dann auch zu mehr Blitzeinschlägen im Regenwald führen und zu einer noch höheren Sterblichkeit unter Bäumen.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 22.2.2020, 12:40 Uhr.